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Praktiken städtischen Handelns

An den Riverkasematten wird Jochen Beckers Buch „Bignes?“ vorgestellt  ■ Von Roger Behrens

„Generell“, schreibt Klaus Ronneberger in dem Sammelband Bignes?, „kann man in Deutschland von einer Renaissance der öffentlichen Ordnung sprechen.“ Während ich, in dem von Jochen Becker herausgegebenen Buch lesend, in die U2 einsteige, fällt mir an der Tür das Logo mit einer Kamera auf: „Zu ihrer Sicherheit – Dieser Wagon wird videoüberwacht.“ Innen werden Fahrgäste suggestiv und selektiv befragt, ob sie mit dieser neuen Dimension von Kontrolle einverstanden seien: die U-Bahn als „Sicherheitsgemeinschaft“, ein „effektives Arrangement von Dingen, die vor allem die Sicherheit fördern und risikoträchtige Verhaltensweisen vermeiden können“.

Sicherheit ist eine Ideologie, die mittlerweile ökonomisch verwaltet wird, die Stadt ist ein, wie Gilles Deleuze es nennt, „Einschließungsmilleu“. Mitte der Achtziger notierte Alexander Kluge: „Es gibt ein Versprechen, bestehend aus umbautem Raum. Dieses Versprechen ist etwa 8000 Jahre alt: die Großstadt ... Der Umbau der Städte wird demnächst endgültig sein. Wir werden mit Städten, die so ähnlich sind wie die, die wir vor Augen haben, ins 21. Jahrhundert eintreten. Das Idol der Stadt, z.B. das Florenz der Renaissance, gehört zum Bestand der Illusion.“

Doch was in den Achzigern als Yuppiesierung bestimmter Viertel begann, hat mittlerweile eine neue Formation angenommen; das Idol Florenz wird in Form von Shopping-Malls und Erlebnis-Parks in der urbanen Peripherie rekonstruiert: „Size does matter“ sagen die Stadtplaner und errichten, wie Be-cker schreibt, ein „Regime der Komplexität“. So genannte soziale Brennpunkte werden von Sicherheitszonen umkreist, das Ghetto – eine Erfindung der italienischen Renaissance-Städte – ist nicht mehr Einschluss-, sondern Ausschlusszone, Randbezirk im Zent-rum.

Die lebendigen Straßen, die Boulevards, überliefert in den Bildern der Stadt des 19. Jahrhunderts, sind nun mehr die Bühne des Todes; gegen das inszenierte Erlebnis, welches in den Sicherheitszonen versprochen wird, findet hier Leben nur noch als Grenzerfahrung statt: die Inszenierung der New Economy – wie in Hamburg jüngst zur MediaNight an den Riverkasematten (taz berichtete) – wird zur Farce, und plötzlich stehen sich vermeintliche Gewinner den sozialen Verlierern des alten Marktes gegenüber. Die Stadt als Idee des Wohnens pervertiert sich in ihrem Zentrum zum Gegenteil, zur Obdachlosigkeit.

Der Protest formiert sich nicht mehr als Kollektiv an den Barrikaden, sondern wird zum Einzelschicksal; die Kontrolle ist eine unsichtbare Macht, die sich hinter den Images, den Logos und Emblemen der Waren versteckt. Jochen Beckers Band Bignes? diskutiert Strategien, diese Macht sichtbar zu machen; die alte Kunst der Stadt ist gefragt, um das Kollektiv überhaupt erst wieder zu aktivieren, durch die Wiedergewinnung des öffentlichen Raumes. Und das meint, eine Praxis städtischen Handelns zu entwickeln.

„Den öffentlichen Raum mit dem Diskurs besetzen“ heißt eine erste vorsichtige Antwort, eine Veranstaltung am Sonnabend rund um die Riverkasematten. Dies könnte ein Tag werden, an dem die „Wünsche die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen ... Sie wollen raus, in die Stadt. Sie wollen andere Wünsche treffen, sich streiten, produktiv werden, auf der Straße tanzen ... einen neuen Plan über die Stadt legen ... Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und dem Reich der Langeweile, der Verwaltung des Elends, ein Ende bereiten.“

In dem Beitrag zu Bignes? über ihren Film Park Fiction dokumentieren Margit Czenki und Christoph Schäfer den Versuch, in St. Pauli-Süd – einem der ärmsten Stadtteile Europas – den öffentlichen Raum zurückzugewinnen. Am Sonnabend gibt es auch noch einmal Gelegenheit, mit Jochen Becker zu diskutieren, wenn er im Rahmen der Veranstaltung der Initiative „wemgehoertdie-stadt?“Bignes? vorstellt.

Buchvorstellung und Veranstaltung „Die Stadt mit dem Diskurs besetzen“: Sonnabend, 16–23 Uhr, rund um die Riverkasematten, Hafenstraße (mit kommentiertem Plattenauflegen von m.f.o.c., einem Videoprogramm der Filmkuratorin Madeleine Berns-torff, Lignas Musikbox, Rotfloris-tInnen und nachdenklichen Popstars, Ausstellung und Projektionen von duralux im Buttclub u.v.m.)

Jochen Becker (Hg.), Bignes? Size does matter. Image/Politik. Städtisches Handeln – Kritik der unternehmerischen Stadt, b_books, Berlin 2001, 272 S., 28 Mark

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