: Durchblick vom Auge bis zum Herzen
Der Schweizer Künstler Anselm Stalder zeigt seine räumlich verwirrenden Zeichnungen und Intsllationen in der NGBK
Es ist, „als ob der rennende Lärm im Kopf mit leichter Hand in einen vibrierenden Horizont verwandelt werden könnte“, verspricht der Schweizer Künstler Anselm Stalder in seiner Ausstellung in der NGBK. Dafür bietet er dem Betrachter verwirrende Bilderrätsel: zwei Hände mit einer kristallinen Glasform, deren Spitzen sich in die Handflächen bohren; ein durchsichtiger Wasserbeutel mit einem U-Boot auf Tauchfahrt; oder hell strahlende Leuchten, die ins Nichts gerichtet sind. „Natürlich ergeben sich immer Geschichten, wenn mehrere Zeichnungen zusammen an der Wand hängen, aber das ist nicht mein Ziel“, erläutert Stalder, der eher das Beziehungsgeflecht von Mensch, Körper und Information thematisiert.
Gut ablesbar ist dies am „Südfusskomplex“, einem Block von insgesamt 192 Siebdrucken, die Stalder an der Psychiatrischen Klinik Solothurn in den nächsten Jahren auf Plakatwänden installiert, von denen in der NGBK ein Teil gezeigt wird. Er plant, die rätselhaften Blätter dort an Flächen in einem Durchgang anzubringen, am Fußweg von der Klinik zum Parkplatz. Die eher beiläufige Wahrnehmung des Werkes durch die vorbeieilenden Besucher stört ihn nicht. Er hofft, durch die in den Zeichnungen dargebotenen Informationen, die anders als bei gewöhnlichen Plakaten nicht unmittelbar zu entschlüsseln sind, Passanten vielleicht einen Moment zu verunsichern, zum Innehalten zu bewegen.
Für Stalder geht es darum, den Betrachter zu verblüffen, ihm ungewohnte Perspektiven zu bieten, ihm bewusst zu machen, dass sein Bild der Wirklichkeit letztlich nur ein Konstrukt des subjektiven Wahrnehmungsprozesses ist. In vielen Wand- und Außenobjekten bricht er die räumliche Wahrnehmung, bietet unerwartete Durchblicke, reflektiert die Umgebung und den Rezipienten. Diese Visualisierung von Wahrnehmungsprozessen, den geronnenen, aufbereiteten Bilderfluss zeigen Stalders Arbeiten in der NGBK. Auch die dort errichteten Installationen. Mit einem vierteiligen Objekt bezieht sich Stalder auf den Raum und den Körper im Raum: „Die Leeren“, das sind an Stahlseilen aufgehängte Glasplatten, deren Bohrungen sich jeweils in Höhe von Augen, Herz und Geschlecht des Künstlers befinden. So nimmt er einerseits biografischen Bezug auf die eigene Person, andererseits spiegelt sich in der Transparenz der Platten auch der Raum, in dem das Ensemble angebracht ist. Für die Ausstellung hat Stalder die Zwischenwände aus der Halle entfernt. Beim Blick durch die Scheiben auf die weißen Wände und lichten Zeichnungen vermeint der Betrachter so fast wirklich einen schimmernden Horizont wahrzunehmen.
Körperlichkeit ist auch das Thema der Installation „Die opaken Kinder“. Die glänzend weißen, rund in den Raum sich wölbenden Gebilde aus Sanitärkeramik sind an einer Stahlstange zur Traubenform verknäult. Ihre Herkunft von der Maisbirne des Boxsports ist ihnen nicht unmittelbar anzusehen. Die eingebeulten Rundkörper verweisen sowohl auf das Trainingsgerät wie auch auf Kinderköpfe, deren Größe sie ungefähr entsprechen. Dabei assozieren die Beulen und Eindrücke nicht nur Sport, sondern auch gesellschaftliche und soziale Gewalt. Dennoch ist die Plastik schön anzuschauen. Immerhin ging es Stalder darum, „Agressivität und Lieblichkeit“ gleich mit in der Skulptur zu formen. RICHARD RABENSAAT
Bis 19. 8., täglich 12–18.30 Uhr, NGBK, Oranienstraße 25
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen