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Ein Volksfest mit Techno-Musik

Die wirklichen Raver – bei der Love Parade sucht man sie vergebens. Stattdessen trifft man auf Rentner, Väter mit Kindernund Hundebesitzer, ganz gewöhnliches Volk eben. Es ist fast wie auf Mallorca: Bier und Trillerpfeifen geben den Ton an

von DUNJA ALFERMANN

Die Love Parade soll keine politische Demonstration sein? Von wegen! Manch einer hat sogar Schilder mitgebracht. Seine schlichte Botschaft mit schwarzen Lettern auf das weiße Schild gemalt: Bier. Es ist nur kurz zu sehen in der Masse der Raver, dann geht es unter in der Menschenmenge. Nicht so seine Botschaft, Bier hat an diesem Tag Hochsaison im Berliner Tiergarten.

Die Massen sind in den Park mitten in Berlin geströmt, um den begehrten Gerstensaft zu konsumieren. Die Trinker vom Bahnhof Zoo, kostümierte Schüler, die Kleinfamilie von nebenan und gelangweilte Rentner. Von den wirklichen Ravern ist kaum etwas zu sehen. Sie haben den Platz dem Volk überlassen. Und dieses feierte sich ausgiebig. Ein Wochenendspaß für die ganze Familie.

Wer kein Bier trinkt, trinkt Sangria. In Flaschen mitgebracht oder im Becher an Ständen zu erstehen, ist das Getränk allgegenwärtig. Es ist fast wie auf Mallorca. Mit einer Ausnahme: Was auf Mallorca der Sonnenhut, ist hier die Trillerpfeife – sie ist obligatorisch. Schon auf dem Weg zur Parade wird sie eifrig genutzt: In den überfüllten Bussen und Bahnhöfen pfeift sich die vergnügungssüchtige Masse bereits auf das Volksfest ein. Streng begutachten die Jugendlichen die Qualität ihrer Pfeifen, um zu entscheiden, welche out und welche in sind. Zwei türkische Jungen haben sich gleich rund zehn Stück umgehängt, mit Bändern in allen nur erdenklichen Farben.

Ebenso bunt ist teilweise das ravende Publikum der Love Parade ausstaffiert: Höschen im Rinderlook, rosa Puschel an den Unterarmen. Viele der Teilnehmer haben diese Mühe jedoch gescheut. Sie gehen zur Parade, wie sonst zum Sonntagsspaziergang. Und je später der Abend, desto freizügiger der Kleidungsstil: Die Menge entkleidet sich mit steigendem Alkoholpegel.

„Da, wo das Durex-Herz ist. Ja die Kondome. Da stehe ich“, schreit eine junge Frau ihrem Freund Anweisungen durch das Handy zu. Unkostümiert, im Alltagslook steht sie nahe dem Brandenburger Tor vor einem der vielen Stände, die abgepackte Baguettes, Bananen oder bunte Bänder anbieten. Stände, die bekanntlich auf keinem Volksfest fehlen dürfen.

Auf der Straße des 17. Juni, die einmal im Jahr zur Ravermeile mutiert, gibt es einfach alles. Zwischen der Falafelbude und dem Luftballonstand steigt Rauch vom letzten der 45 Musikwagen auf. Was wäre das größte Techno-Event der Welt ohne Showeffekte? Bunte Schläuche ragen in die Höhe. Auf einem Schlauch ragt ein Herz gen Himmel, auf einem anderen eine Hand. Eine Gruppe Tänzerinnen in orangefarbenen Bikinis tanzt sich unter der im Wind hin und her wackelnden Dekoration gemächlich ein.

Die Begeisterung aber hält sich in Grenzen. „Nicht viel los hier, ne?“ Der junge Mann ist enttäuscht. Mit seinen Freunden schlendert er über eine Grünfläche im Tiergarten. Viele junge Pärchen dösen hier vor sich hin. Wer ganz allein zum großen Volksfest gekommen ist, spielt versunken mit seinem Handy.

Sonst ist alles wie immer: Zwei Rentnerinnen sitzen auf der Bank und unterhalten sich über dies und das, während junge Männer auf einer Wiese Fußball spielen. Zwei Väter sind ungeachtet des Spektakels mit ihren Kindern auf dem Spielplatz. Hunde verrichten ihre Notdurft. Ein Grüppchen Leute grillt.

Direkt am Aufzug der dröhnenden Beats aber kippt die Idylle. Zwischen urinierenden Jungen schieben sich die Massen auf den Wegen. Mal vorwärts, mal rückwärts – orientierungslos. Von den Wagen dröhnen unerbittlich die Bässe. Es riecht scharf. Ein Jugendlicher ist mit Handschellen an einen Laternenpfahl gekettet. Lautstark diskutiert er mit einem Polizisten. Direkt daneben bahnen sich torkelnde Gestalten den Weg durch die Büsche. Einige lassen sich halb bewusstlos auf den Rasen fallen, sobald sie einen der wenigen freien Flecken erreicht haben. Andere torkeln weiter – geschoben und aufrecht gehalten von der Masse.

Das nahe gelegene Unterholz ist längst zum Mülleimer geworden: Abgeknickte Äste, Flaschen, Büchsen, Kondome. Und immer mehr Leute strömen herbei, die Menge will zu den dröhnenden Wagen rund um die Siegessäule. Die noch nicht entkräfteten Neuankömmlinge sind begeistert. Drei Jungen schminken sich. Ihre Haare sind blau und grün gefärbt. Mit Farbe an ihren Fingern ziehen sie sich passend dazu die Augenbrauen nach, dann erst geht es ins Getümmel.

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