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Wahlkampf als Reality-TV

Wo Exfilmstars als Politiker Karriere machen, halten sie sich eigene „Nachrichtensender“ als Werkzeuge für Publicity. Am liebsten inszenieren sie ihre eigenen Triumphe – und Verhaftungen

aus Neu Delhi BERNHARD IMHASLY

Wer in Indien in Haft kommt, kann noch heute vom Mythos profitieren, der seit dem Unabhängigkeitskampf damit assoziiert wird. Polizeigewahrsam war der verzweifelte Versuch der Kolonialherren, sich gegen Mahatma Gandhis clevere Politik der Gewaltlosigkeit zur Wehr zu setzen. Auch im freien Indien gehört das „courting arrest“ – eine „Verhaftung provozieren“ – zur Grundausbildung für einen Politikerlehrling. Der Akt der Verhaftung ist dementsprechend kein Spießrutenlaufen, sondern ein PR-Termin. Kürzlich wurde eine Frau verhaftet, die am Flughafen von Delhi einen Schmuggelring betrieben hatte. Als sie dem Verwahrungsrichter vorgeführt wurde, lachte sie in die blitzenden Kameras und hob die Hand zum Victoryzeichen.

Mit dem Auftritt der 24-Stunden-Nachrichtenkanäle erlebt der Verhaftungsakt eine neue Blüte. Dies gilt besonders in Südindien, wo populäre Filmstars ihren verblassenden Status gern mit einer Politikerkarriere revitalisieren. Ihr Erfolg dabei gründet nicht selten auf der Fähigkeit, die Medien zu manipulieren.

Als 1984 der südindische Regierungschef Rama Rao – er hatte als Gott Krishna Filmtriumphe gefeiert – verhaftet wurde, waren keine Fotografen anwesend. Er wartete geduldig im Polizeiwagen, bis sie zur Stelle waren. Dann ließ er die Verhaftung, inklusive zornigem Protest und unsanften Polizisten, wiederholen. Inzwischen sind aus den Fotografen Videoteams mit Mobiltelefon und auf Motorrädern geworden, die rasch für eine Live-Sendung mobilisiert werden können. Und auch die Politiker haben sich angepasst. Sie sind Besitzer von TV-Kanälen, auf denen sie ihre Karrieren zu Realityshows namens Nachrichtensendungen aufpeppen.

Der Politiker M. Karunanidhi („MK“) hat dies vor einigen Tagen vorgeführt. MK war einmal Scriptwriter für den legendären „MGR“, Filmstar und Regierungschef von Tamil Nadu, gewesen. Nach dessen Tod übernahm jedoch nicht MK das politische Erbe, sondern MGRs Mätresse J. Jayalalitha, ebenfalls eine ehemalige Schauspielerin. Seitdem bekämpfen sich die beiden bis aufs Messer.

Als Karunanidhi 1996 in Madras an die Macht kam, brachte er seine Rivalin mit einer Korruptionsklage ins Gefängnis, das sie erst 21 Tage später verließ. Mit rosigen Wangen trat sie aus dem Gefängnistor und klagte vor laufenden Kameras MK an, er habe sie ausgehungert – es war der Beginn ihres politischen Comebacks. Fünf Jahre später war es soweit, und Jayalalitha gewann die Provinzwahlen. Das war vor wenigen Wochen, und jedermann wusste, dass diesmal Karunanidhi an der Reihe war.

Auch MK wusste dies, und er hatte vorgesorgt. Er quartierte ein Team des familieneigenen Fernsehsenders Sun TV bei sich ein. Und als sich am 30. Juni nach Mitternacht die Polizei mit dem typischen Hämmern an der Tür ankündigte, waren die Fernsehleute schon in Stellung. Die Bilder, um die sich tags darauf alle indischen Fernsehkanäle rissen, lösten einen Entrüstungssturm aus. Ein alter herzkranker Mann wird, kaum bekleidet, von den Häschern mit Gewalt aus dem Haus gezerrt, die Brille fällt ihm ab, er verliert den Atem und schreit vor Verzweiflung, ihn doch nicht zu töten. Sein Neffe Murasoli Maran, Industrieminister in Delhi, will ihm zu Hilfe eilen, doch auch er wird, vor laufenden Sun TV-Kameras, von drei Polizisten weggeschleppt.

In ganz Indien kommt es zu Protesten gegen die inhumane Behandlung eines altgedienten Politikers, seine Konkurrentin Jayalalitha steht vollends als rachsüchtige Hexe da. Zwei Tage lang muss ihr TV-Sender (Jaya TV) statt Bildern wortreiche Communiqués verlesen, die gegen die dramatischen Bilder keine Chance haben. Dann kommt ihr die Polizei zu Hilfe, die ebenfalls einen Kameramann auf ihre mitternächtliche Razzia mitgenommen hatte. Dessen Bilder zeigten, dass MK zwar aus dem Bett geholt wurde, aber dass er, im freundlichen Gespräch mit dem Polizeioffizier, Zeit hatte, sich für den Gang ins Gefängnis vorzubereiten – oder, wie Jaya TV nun behauptete, auf die Ankunft der TV-Kameras zu warten. Der Streit begann erst, als Maran und sein Kabinettskollege Baalu, seines Zeichens indischer Umweltminister, eintrafen, und die Polizei aufforderten, den Haftbefehl vorzuweisen. Der Stimmpegel stieg, es kam zum Handgemenge, das dann die Bilder produzierte, welche am nächsten Tag ganz Indien aufsitzen ließen.

Mit zwei Tagen Verspätung flimmerte dann, dank JayaTV, das Polizeivideo in die Stuben. Es brach natürlich dort ab, wo der Kampf (und SunTV) begann. Aber MK und seine Mitstreiter hatten diese Runde bereits für sich entschieden. Als die gebeutelte Jayalalitha sie zwei Tage später gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen wollte, weigerten sie sich zunächst – und die Zeitungen kamen zur schönen Schlagzeile: „Minister verweigern Haftentlassung“. Anderntags zeigte Sun TV, wie die Häftlinge strahlend aus dem Gefängnistor traten und von ihren Anhängern auf die Schultern gehoben wurden.

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