leben in funnyland
: YVES EIGENRAUCH über die welt der devotionalien

schmusedecke und trockenrose

definition: devotionalien – der andacht dienende gegenstände (der kleine duden, fremdwörterbuch, 2., überarbeitete auflage, 1983). zum ausdruck devotionalien sagen andere: es handelt sich um einen fachausdruck für religiöse artikel und kultgegenstände wie kreuze, rosenkränze, marien- und heiligenstatuen etc. hier geht’s um ganz weltliche.

immer wieder gern genommen ist die „schmusedecke“, ursprünglich liebster begleiter von peanut linus. die schmusedecke ist ebenso wie das schnuffeltuch eine art universal-devotionalie, ähnlich wie der teddy-bär. jeder oder mindestens jeder zweite hat oder hatte mal einen teddy, eine schmusedecke oder beides. normalerweise als kind – zum dranfesthalten, zum liebhaben oder zum reinheulen. später dürfen schmusedecke bzw. schnuffeltuch und teddy dann oft noch jahrzehnte in irgendeinem schrank ihr mehr oder minder tristes dasein fristen – und, wann immer man sie sieht, erinnerungen an vergangenes heraufbeschwören, eben der andacht dienen („ach, da ist ja der teddy, weißte noch ...?).

zu diesem zeitpunkt spielen bereits andere devotionalien eine größere rolle. ein t-shirt, in dem noch sämtliche gerüche einer bestimmten nacht wohnen und das man sich vorm einschlafen ins gesicht presst – bis man diese devotionalie aus dem ein oder anderen grund nicht mehr braucht, z. b. man hat sie zurückgegeben, man hat sie vernichtet oder man hat eben jenen geruch inzwischen nacht für nacht, und die devotionalie ist längst in die wäsche gewandert ...

ja, devotionalien können ernsthafte krisen verursachen: „sag mal, schatz, müssen diese vertrockneten rosen, in denen die spinnen nisten, jetzt für immer da auf dem schrank liegen?“ „ja!“ „und wieso?“ „weil ...“ undschon ist die krise da. oder wenn a immer wieder die selbst zusammengestellte cassette hört, die damals vor vielen jahren b aufgenommen hat und die immer noch diese wohligen erinnerungen wachruft, und c kommentiert „sag mal, findest du diese frustige musik gut? ist ja so spannend wie der farbe beim trocknen zuzusehen ...“ dann kann das empfindlich den devotionalien-nerv treffen. dumm gelaufen.

peinlich kann’s auch werden. wenn eine eigentlich doch ganz normale frau, nennen wir sie helga, schwerste anzeichen von absurdem fanverhalten, nennen wir es geistige umnachtung, im hinblick auf einen schauspieler aufweist, nennen wir ihn anthony hopkins (von ihr auch liebevoll „tony“ genannt), kann es zu erhöhtem devotionalien-bedarf kommen. tony-bilder, tony-t-shirts, tony-zeitschriften – und: tony-auflauerungsaktionen zum zwecke bildhaft festgehaltener momente.

dieser fall führt uns zum nächsten thema: devotionalien-missbrauch und aberglaube. wer meint, der verlust einer devotionalie – beispielsweise eines neongrünen plüschaffen von 1984 – führe zu großem unglück, der sollte seinen devotionalien-gebrauch in frage stellen und die hilfe eines fachmannes oder auch einer fachfrau in anspruch nehmen. risiken und nebenwirkungen sind allerdings auch dann nicht ausgeschlossen.

aber für alle anderen gilt wahrscheinlich: was wäre man ohne seine devotionalien? zumindest wohl ein stück identitätsloser. denn die eigene authentizität wird doch bis zu einem gewissen grad durch die dinge bestimmt, die uns daran erinnern, warum wir so geworden sind, wie wir sind ... also sollte man jedem seine devotionalien lassen.

Fotohinweis: yves eigenrauch, 30, ist angestellter von schalke 04 und schreibt über das heraufbeschwören von erinnerungen.