piwik no script img

So werden Sie unsterblich

von RALPH BOLLMANN

1. Arbeiten Sie nicht zu viel. Je weniger Werke Sie hinterlassen, desto mehr Fans werden Sie haben. Einfach deshalb, weil sich die Leute dann die Titel besser merken können. Zehn Opern sind die absolute Obergrenze. Zur besseren Übersicht können Sie vier davon zu einer Tetralogie zusammenfassen. Dann bleiben nur noch sechs Titel, die sich das Publikum einzeln merken muss . Nehmen Sie sich ein Vorbild am höchst populären Mozart, von dem heute nur noch fünf Opern aufgeführt werden. Eifern Sie bloß nicht Ihrem Konkurrenten Giuseppe Verdi nach, der ein unübersichtliches Werk von mehreren Dutzend Opern hinterließ. Mit solch einem welschen Chaos werden Sie in Deutschland nie zur Kultufigur.

2. Machen Sie alles selber, auch wenn Sie es nicht können. Zum Schriftsteller sind Sie nicht geboren? Wenn Sie Verse produzieren, kommen nur peinliche Stabreime heraus? Macht nichts. Gerade deshalb sollten Sie den Text zu Ihren Opern – pardon: Musikdramen – selber schreiben. Lassen Sie sich nicht dadurch irritieren, dass die Spezialisten von Mozarts da Ponte bis Verdis Piave viel bessere Libretti schreiben konnten. Sie wollen schließlich ein „Gesamtkunstwerk“ hervorbringen.

3. Seien Sie ein Langweiler. Vergessen Sie nie, dass die Unterhaltung in Deutschland einen ganz schlechten Ruf hat. Sie werden es schon gemerkt haben: Das deutsche Bildungsbürgertum findet alles niveaulos, was spannend oder – horribile dictu – witzig ist. Deshalb muss eine Aufführung Ihrer Opern, die Pausen mitgerechnet, mindestens fünf Stunden dauern. Außerdem sollten Sie vergessen, dass ein Komponist auch einmal die Tempoangabe wechseln kann. Schreiben Sie auf alle Partituren „Andante“, dann können Sie sich der einschläfernden Wirkung gewiss sein. Hat sich das Publikum erst einmal einen ganzen Abend lang gequält – dann kann es ja nicht mehr zugeben, dass dieses Opfer sinnlos war. Es wird Sie für ein Genie halten.

4. Klopfen Sie Stammtischsprüche. Sie haben mal versucht, in Paris beruflich Fuß zu fassen? Das haben Sie nicht geschafft, weil ein gewisser Herr Meyerbeer erfolgreicher war als Sie? Und dieser Herr Meyerbeer war Jude? Prima! Dann wettern Sie kräftig gegen „Das Judentum in der Musik“. Das macht Ihre Werke nicht nur für den unwahrscheinlichen Fall interessant, dass die Nazis wieder einmal an die Macht kommen sollten. Auch in demokratischen Zeiten kann Ihnen Ihr Antisemitismus nützlich sein: Sie sind umstritten und das ist gut für die Publicity. Jedes Mal, wenn es in Israel wegen einer Aufführung Ihrer Werke zum Eklat kommt, sind Sie wieder in der Presse. Da kann ein harmloser Menschenfreund wie Mozart nicht mithalten.

5. Bauen Sie sich ein Häusle und gründen Sie einen Familienbetrieb. Denken Sie daran, dass Theaterleute launisch sind. Was passiert, wenn Ihre Opern gerade mal nicht in Mode sind? Oder wenn eine neue Generation von Regisseuren Ihre Werke zertrümmern will? Da hilft nur eines: Bauen Sie sich Ihr eigenes Festspielhaus. Am besten in irgend einer abgelegenen Provinzstadt, wo alles Neue erst mit ein paar Jahrzehnten Verspätung ankommt. Legen Sie fest, dass dort nur Ihre Werke aufgeführt werden dürfen. Behalten Sie die Leitung dieses Theaters fest in der Hand und sorgen Sie dafür, dass Ihre Nachfolger aus der Familie kommen müssen. Solange die Wissenschaft nicht widerlegt hat, dass Genie erblich ist, werden Ihre Nachkommen Sie für genial halten.

6. Zeigen Sie ein Herz für kleine Leute. Mit elitären Sprüchen hat in Deutschland noch niemand Erfolg gehabt. Wie jeder Politiker seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen betont, sollten auch Sie stets behaupten, Sie wollten Festspiele fürs Volk. Sie wissen: Bei gerade mal 30 Aufführungen pro Jahr ist das ein Witz. Aber fürs volksnahe Image genügt es ja, dass jedes Jahr Hunderttausende den Bestellschein ausfüllen. Dieses Chaos gibt Ihnen und Ihren Nachfolgern die Möglichkeit, die Karten nach Gutdünken an Amigos zu verteilen. Auf vergleichsweise niedrige Preise, nicht einmal halb so hoch wie in Salzburg, sollten Sie trotzdem Wert legen – schließlich geben sich deshalb auch Weltstars mit Ihren bescheidenen Gagen zufrieden. So holen Sie das Geld wieder herein.

7. Ziehen Sie anderen Leuten das Geld aus der Tasche. Für Ihren Familienbetrieb fehlt Ihnen das nötige Kleingeld? Kein Problem, schließlich hilft Ihnen der bayerische König finanziell aus der Klemme – auch wenn er sein Land ans Bismarckreich verkaufen muss, um solche Eskapaden zu finanzieren. Sind erst einmal die Fakten geschaffen, werden sich die demokratischen Regierungen von Bund und Land schon an der Finanzierung beteiligen. Auch wenn die gewählten Politiker in Ihrer Stiftung fast nichts zu sagen haben. Dass sie das Festspielhaus an ein Mitglied Ihrer Familie vermieten müssen, steht sogar in der Satzung. Sollte der Kulturminister den Zuschuss einmal kürzen wollen, können Sie sich auf den Protest Ihrer treuen Fans verlassen.

8. Heiraten Sie eine wesentlich jüngere Frau. Und hoffen Sie, dass Ihre Söhne und Enkel das auch tun. Der Erfolg Ihrer Festspielidee wird umso größer sein, je enger der jeweilige Intendant mit Ihnen verwandt ist. „Enkel“ klingt einfach besser als „Urururenkel“. Der Grundstein ist schon gelegt, wenn Sie mit 56 Jahren noch einen Sohn bekommen und ihn Siegfried nennen. Vielleicht fühlt er sich von Ihrem Vorbild inspiriert und setzt seine beiden Söhne auch erst mit 50 in die Welt. Im Jahr 2001, Sie selbst sind dann 188 Jahre alt, wird immer noch Ihr Enkel Wolfgang die Festspiele eröffen. Schafft der es, die Nachfolge seiner fast 60 Jahre jüngeren Tochter zuzuschanzen, ist die Sache perfekt: Bei durchschnittlicher Lebenserwartung könnte Ihre Urenkelin mindestens bis 2050 amtieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen