: Coming soon!
Kurz und heftig: Mit seinem Buch „Verführung zum Film“ legt der Autor Vinzenz Hediger eine erste Würdigung des bislang in der Filmtheorie vernachlässigten Kinotrailers vor
von CLAUS LÖSER
Als ich vor einigen Jahren für ein Programmkino eine abendfüllende Rolle mit Horror- und Science-Fiction-Trailern zusammenstellte, interessierte sich dafür im Kino leider nur eine sehr überschaubare Klientel. Die aber hatte ihr helles Vergnügen: Frauenschreie, in engen Gängen entlanghetzende Kameras, wimmelndes Gewürm, blitzende Messer, unheilvoll grummelnde Musik, sonore, sich in Superlativen gegenseitig überbietende Männerstimmen, leinwandfüllende Scary!-, Amazing!-, Shocking!-, Unbelievable!-Schriftzüge und immer wieder Frauenschreie. Anhand der aus den 60er- bis 90er-Jahren stammenden Beispiele ließ sich sehr genau ablesen, wie breit das Qualitätsspektrum in diesem Bereich ist und in welchem Maße sich die Formensprache dieses filmisches Nebenzweigs im Laufe der Jahrzehnte verändert hat.
Trailer galten lange Zeit als äußerst kurzlebige Partikel breit angelegter Werbekampagnen mit zu vernachlässigendem Qualitätslevel. Hatten sie ihre pawlowsche Reizwirkung erfüllt, verschwanden sie in den Kopienschreddern und Firmenarchiven, mitunter auch in den Kisten umtriebiger Privatsammler. Durch die erfolgreiche Markteinführung der DVD – die als Bonustracks ja meist eine ganze Reihe von unterschiedlichen Trailern, Teasern oder Making-ofs enthalten – scheint sich mittlerweile eine gewisse Nachhaltigkeit bei der Wahrnehmung dieses Nischenmediums eingestellt zu haben. Kein Zweifel, Trailer sind heute mehr angesagt als noch vor zwei Jahren: Internet-Seiten laden zu Downloads ein, Kleinanzeigen zeugen von Tauschbörsen, die kurzen Film-Filme sorgen für Gesprächsstoff über Kinofoyer und Campus hinaus. Außerdem zwingen die Herstellungsumstände des Trailers (wie bei Videoclip, Werbefilm und Titelvorspann) zu einer überaus komprimierten Filmsprache und bieten damit Nistplätze für Innovationen durch unverbrauchte Talente. Höchste Zeit, dass sich jemand dieses bislang vernachlässigten cineastischen Nebenschauplatzes angenommen hat.
Vinzenz Hediger ist Schweizer. Ganz in calvinistischer Vernunfttradition huldigt sein Buch „Verführung zum Film – Der amerikanische Kinotrailer seit 1912“ der Empirie. Für seine Untersuchung hat er er die beeindruckende Menge von 1.461 Trailern gesichtet, ausgewertet und seinem Modell zugeordnet. In geradezu lückenloser Argumentationskette verbindet er diese Filmschau mit vorangegangenen filmwissenschaftlichen Arbeiten zu eigenen theoretischen Schlussfolgerungen.
In Verbindung mit Glossar, Register und einer beiliegenden CD-ROM, die eine ganze Reihe der untersuchten Beispiele in voller Länge enthält, setzt diese erste Analyse des Submediums Trailer bereits Maßstäbe. Technik, Geschichte, Dramaturgie, Wahrnehmungspsychologie und Entwicklungsprognose erfahren umfassende Darstellung. Dass der Autor sich dabei ausschließlich auf die US-amerikanische Filmgeschichte beschränkt, ist aus historischen und praktischen Gründen nachvollziehbar, verweist gleichzeitig auf künftige Untersuchungsperspektiven (wäre doch gerade die Differenzierung einer europäischen Trailerkultur von Reiz). Die nie infrage zu stellende Zugehörigkeit seines Untersuchungsgegenstands zur Werbung und der damit einhergehende Warencharakter des Kinos offenbaren die Widersprüchlichkeit des Themas: Einerseits haftet Trailern eine ganz eigene Faszination an, andererseits müssen sie als schlichte Vehikel der Gewinnmaximierung verstanden werden.
Die Geburtsstunde des Trailers wird auf 1912 datiert: Edison hatte an die Filmenden seines Kinoserials „What happened to Mary?“ jeweils einen Schriftzug angefügt, der auf die Nachfolgeepisode verwies. Dadurch kam es zu jenem sprachlichen Paradox, dass ein eigentlich Anhängsel bedeutendes Wort zum Inbegriff der Ankündigung wurde. Als gestaltungsrelevant erweisen sich in Hedigers historischer Bilanz zwei wesentliche Phasen. Die Blütezeit der ersten, der „klassischen Phase“ grenzt er auf 1933 bis 1966 ein. Hier überwogen ausschnitthafte Momente, die ihren noch in der Jahrmarktstradition wurzelnden Gestus des Sensationellen in einen „Rätselplot“ verpackten. Dieses Prinzip des showing as announcing versuchte oft, die Zuschauerschaft zum Teil einer potenziellen Rezeptionsgemeinschaft zu machen, indem sie ihr die Illusion eines Informationsprivilegs vermittelte.
In der zweiten, der „modernen Phase“ der Trailergeschichte ab Anfang der 80er wechselte der Rätsel- zum Spannungsplot, d. h., die Filmankündigungen gewannen an gestalterischer Autonomie (storytelling as selling). Sie wurden damit mehr und mehr zu eigenständigen Kurzfilmen, die ästhetisch jedoch der Vermarktungsstrategie des Hauptprodukts und dessen Wunschbild als Markenartikel zu entsprechen hatten. Während frühere Trailer einen Diskurs über den Film führten, verselbstständigt sich der moderne Trailer zu einem eigenständigen Produkt.
Mit dieser Metamorphose vollzogen sich weitere gestalterische Veränderungen und werden durch Hediger wiederum empirisch minutiös belegt: Beliefen sich die Laufzeiten von Trailern im Stummfilm durchschnittlich noch auf fünf Minuten, so waren es 1970 nur noch reichlich zwei Minuten, wenig später schrumpfte die Dauer sogar auf 1,256 Minuten. Während sich Schrifttafeln, Off-Stimmen und Trickblenden verringerten, nahmen Schnittdichte und Soundmischung enorm zu. Unbeantwortet bleibt die Frage, in welche Richtung die Entwicklung der filmischen Nebengattung Trailer nach Abschluss ihrer „modernen Phase“ gehen, wie die Postmoderne dieses Surrogatmediums aussehen könnte. Zumal die momentan zu beobachtende Renaissance bereits kurz vor dem Overkill zu stehen scheint.
Die obersten Lehrsätze einer erfolgreichen Strategie lauten nach Hediger: „Ein Trailer muss stets besser sein als der angekündigte Film“ sowie „Man zeige die besten Szenen, gebe aber die Story nicht preis.“ Vor ein paar Jahren bot sich mir die Gelegenheit, selbst einen Trailer herzustellen. Ohne Hedigers Grundsätze zu kennen, befolgte ich sie sozusagen instinktiv, was bei dem zu bewerbenden Film nicht schwierig war. Was die Qualität betrifft, war er sowieso ununterbietbar, und über eine Story verfügte er auch nicht. Allerdings lag ich mit der Länge von neun Minuten ein wenig daneben. Als der Verleih bei einem der Kinos nachfragte, ob der angeforderte Werbevorspann inzwischen eingetroffen sei, antwortete der betreffende Kinobetreiber, bisher sei nur ein Kurzfilm angekommen, nicht aber der Trailer selbst. Folgeaufträge an meine Adresse blieben aus.
Wie der Filmemacher Ulrich Seidl einmal erzählte, müssen in Österreich die Verleiher die Abspielzeit für ihre Trailer in den Kinos mieten – und legen deshalb schon aus ökonomischen Gründen Wert auf Kürze. In der Alpenrepublik hätte ich also meinen als Trailer getarnten Kurzfilm niemals unterbringen können. Als Seidl mit dem Trailer zu „Tierische Liebe“, einem Dokumentarfilm über exzessive Liebesbeziehungen zwischen Mensch und Haustier, auf Entsetzen bei einigen konservativen Kinobesitzern stieß und deren Aufführungsweigerung provozierte, stellte sich übrigens eine überaus komplizierte Rechtslage ein. Zensur und Trailergeschichte – ein weiterer interessanter Punkt. Da die Ankündigungen auch vor Filmen laufen, die eine andere Alterseinstufung als die gepriesene Produktion aufweisen, muss die Reizschwelle möglichst niedrig gehalten werden. Damit wird Zielgruppenwerbung erschwert. Elegant wurde dieses Dilemma bei John Schlesingers „Asphalt Cowboy“ gelöst. Ohne dass explizite Szenen auf der Leinwand zu erscheinen brauchten, erfolgten doch eindeutige Hinweise auf den damals umstrittenen Inhalt. „The only x-rated film to win an academy award for the best picture!“, verkündete eine Schrifttafel – und verband damit sensationsumwitterte Verruchtheit mit der durch einen Oscar geadelten Legitimation für bildungsbürgerliches Publikum.
Als die schönsten Trailer erweisen sich jedoch wieder einmal jene regelbestätigenden Ausnahmeerscheinungen, die neben den landläufigen Trends stehen. Wenn Alfred Hitchcock in seiner Ankündigung zu „Psycho“ eine Viertelstunde lang durch die Kulissen des Films führt und die Zuschauer direkt anspricht, so stellt dies eine Variante des uralten Beiseitesprechens im Theater dar. Das durch die obligatorischen Cameo-Auftritte des Meisters in den eigenen Filmen praktizierte Spiel einer ironischen Selbstinszenierung erlebte hier seine exzessive Steigerung. Besonders reizvoll auch der Umstand, dass Hitchcock in der deutschen Fassung den Text persönlich auch auf gebrochenem Deutsch darbot.
Ebenfalls eine verbale Verfremdung und Steigerung erreicht Kubricks „Clockwork Orange“-Trailer, der mit dem Einsatz von fragmentierter Schrift auf die filmische Avantgarde (Michael Snow, Stan Brakhage) verweist. Stakkatoartig werden Bildsplitter mit Textzeilen verschnitten, Typografie wird zum gleichberechtigten filmischen Gestaltungsmittel, das im angekündigten Film gar nicht mehr vorkommt.
Ein Trailer-Pionier der besonderen Art ist auch Jean-Luc Godard. In seiner „Einführung in eine wahre Geschichte der Kinos“ schreibt er: „Was ich zum Beispiel gern machen würde, sind Trailer. Aber an denen ist wieder das Dumme, dass sie nur fünf Minuten dauern dürfen. Es sind kleine Filme, wo man sagt: Demnächst in diesem Theater! Für mich ist das der perfekte Film. Ich würde das im Grunde lieber machen als die Filme. Meine Trailer würden vier oder fünf Stunden dauern, das heißt, länger als der ganze Film.“ Dass er mit „Histoire(s) du cinéma“ diesen Trailer bereits gedreht hat, ist bislang nicht bemerkt worden.
Vinzenz Hediger: „Verführung zum Film – Der amerikanische Kinotrailer seit 1912“. Schüren Presse, Marburg 2001, 304 S. und CD, 48 DM
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