: Immer ein bisschen offener als andere
Frankreichs Gesundheitsminister Bernard Kouchner gibt offen zu, als Arzt aktive Sterbehilfe geleistet zu haben
Bernard Kouchner sorgt erneut für Kontroversen: Gegenüber der niederländischen Wochenzeitung Vrij Nederland räumte Frankreichs Gesundheitsminister jetzt ein, als Arzt habe er bei humanitären Einsätzen in Vietnam und im Libanon in den 70er- und 80er-Jahren aktive Sterbehilfe geleistet. „Wenn Leute zu sehr leiden mussten, und ich wusste, dass sie sterben würden, habe ich ihnen geholfen“, sagte Kouchner im Interview.
Schon früher hatte der Gründer der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ Aufsehen erregt, als er öffentlich für einen straffreien Cannabiskonsum plädierte. Bernard Kouchner weiß natürlich, dass das „franc-parler“ (frei von der Leber weg reden) in seinem Land nicht zu den offiziellen Regierungstugenden gehört – nur lässt er sich deswegen das Maul nicht verbieten. Vielleicht ist er deshalb einer der populärsten Politiker und Minister Frankreichs. Seine Landsleute sehen in ihm weniger den politischen Karrieristen als den Gründer der heute weltweit tätigen Organisation „Médecins Sans Frontières“. Als ihn die Presse im Jahr 1993 bereits zum „Franzosen des Jahres“ erkor, prophezeite das Magazin Événement du Jeudi, der ehrgeizige Kouchner werde eines Tages, wenn nicht Staatspräsident, so doch womöglich UNO-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger. Den Nobelpreis erhielt er nicht, aber doch immerhin seine Organisation. Und nach seiner erfolgreichen Mission als UNO-Gouverneur im Kosovo kann er durchaus hoffen, eines Tages die Geschicke der Vereinten Nationen in New York zu übernehmen.
Der Bürgerkrieg in der nigerianischen Provinz Biafra Ende der 60er-Jahre war ein Schlüsselerlebnis für den 1939 in Avignon geborenen Kouchner. Er kam mit einer medizinischen Equipe des IKRK auf diesen Kriegsschauplatz, auf dem sich der Hunger der Bevölkerung und die Grausamkeit der Soldateska einen makaberen Wettlauf im Völkermord lieferten. Angesichts des Leidens, dessen Zeuge er war, konnte und wollte sich der junge Arzt nicht an das Schweigegebot halten, zu dem er sich gegenüber dem IKRK verpflichtet hatte. Diese dem IKRK von den Staaten auferlegte Diskretion war für ihn mit dem Eid des Hippokrates nicht mehr zu vereinbaren: „Unparteilichkeit ja, Neutralität nein.“ Die humanitäre Aktion diente ihm auch dazu, die Unterdrückung und das Verbrechen sichtbar zu machen. Zusammen mit anderen engagierten Medizinern gründete er 1971 die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die er acht Jahre lang leitete, bis er sich wegen Meinungsverschiedenheiten distanzierte und 1980 – weiterhin mit derselben Zielsetzung – „Médecins du Monde“ ins Leben rief. In den Konflikt- und Krisengebieten rund um den Erdball wurden Kouchners „French doctors“ bald zu einem Begriff.
Gegen Ende der 80er-Jahre begann Kouchners zweite Karriere als Mitglied verschiedener Linksregierungen. Ganz ins politische Establishment integrieren ließ er sich deswegen nicht. Er gehört zumindest in dieser Hinsicht wie Daniel Cohn-Bendit zu jener 68er-Generation, die weiß, dass es oft nötig ist, provokativ aufzufallen und zu stören, um ein Problem ins Scheinwerferlicht der Fernsehkameras zu rücken und die Dinge in Bewegung zu bringen. Beim heiklen Thema Sterbehilfe allerdings setzt er mehr auf behutsame Aufklärung und Debatte als auf brüske Erklärungen.
RUDOLF BALMER
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