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Ein Könner des Songwritings

Gelassener Umgang mit einem Berg von Musikgeschichte: John Cale in der Fabrik  ■ Von Alexander Diehl

Wenige Musiker, so mutmaßte einmal der Rolling Stone, dürften das Prädikat „Künstler“ so verdienen wie John Cale: „Trotz seiner Flucht vor dem Mainstream war er von großem Einfluss auf die zeitgenössische Musik.“ Und tatsächlich bewegte sich Cale mehr als die meisten anderen seines Geschäfts – und seiner Generation – zwischen den als getrennt angesehenen Welten von (akademisch geschulter) Avantgarde und Rock'n'Roll.

Geboren wurde Cale am 9. März 1942 – andere Quellen sprechen vom Dezember 1940 – als Sohn eines Bergmanns und einer Lehrerin in Süd-Wales. Er galt als musikalisches Wunderkind, lernte Viola und Klavier, und die BBC führte eine seiner Kompositionen auf, noch ehe er Teenager war. Zu Beginn der 60er Jahre studierte er klassische Musik, „während andere Londoner Kunststudenten den amerikanischen Rythm'n'Blues entdeckten“, wie der Musikjournalist Clinton Heylin schreibt, studierte Cale unter Cornelius Cardew die zeitgenössische Avantgarde zwischen Cage und Stockhausen. Nachdem Cale seinen Abschluss gemacht hatte, erhielt er das Angebot, in Boston weiterzustudieren – nicht zuletzt durch die Vermittlung der damals bedeutendsten amerikanischen Komponisten, Aaron Copland und Leonard Bernstein.

Dort blieb er nur kurz, sein weiterer Weg führte Cale nach New York in die dortige Avantgarde des Greenwich Village. Er arbeitete mit John Cage und wurde Teil des Theatre of Eternal Music des Extrem-Minimalisten La Monte Young. Die stoischen Drones seiner elektrisch verstärkten und verzerrten Viola, die Cale zu den endlosen Sessions der Formation beisteuerte, deuteten seine folgenreichste musikalische Betätigung an: Velvet Underground.

Bei dieser sinistren Kreatur des Pop-Art-Papstes Andy Warhol, die mit dem Konsum harter Drogen oder Sado-Masochismus kokettierte, spielte Cale Bass, Viola und Gitarre und war neben Lou Reed zweiter Songwriter – um die genaue Arbeitsteilung und damit verbundene Fragen der Autorschaft schwelen bis heute Konflikte.

Weil er „weiche Songs nicht mochte“, verließ Cale die Band nach dem zweiten Album White Light White Heat, einem so selten zuvor gehörten Ausloten von Krach als musikalischer Vokabel, bei Erscheinen 1968 ein glorreicher Misserfolg, gleichwohl von großem Einfluss auf die Entwicklung der Gitarrenmusik von Punk- bis Noise-Rock. Bis heute verfolgt ihn jene Periode, droht der Status als Ex-VU-Mitglied Cales umfangreiches Solowerk zu überschatten; wozu die mäßig erfolgreiche VU-Wiederbelebung vor einigen Jahren einiges beigetragen haben dürfte.

Nach der Trennung produzierte Cale das zweite Album der zeitweiligen VU-Chanteuse Nico sowie das Proto-Punkrock-Debüt der Stooges um Iggy Pop. Jahre später entdeckte und produzierte er Talente wie Jonathan Richman oder Patti Smith. Daneben hatte Cale eigenes Material zusammengetragen und veröffentlichte 1970 sein introvertiertes Singer/Songwriter-Debüt Vintage Violence. Mit dem weitgehend instrumentalen Nachfolger Church of Anthrax kehrte er zurück zur spröden Geradlinigkeit der Minimal Music, unter Beteiligung von deren Pionier Terry Riley.

Cales viertes Album, Paris 1919, zeigte 1973 endgültig, dass er bei allem Avantgarde-Anspruch bis heute nicht zuletzt eines ist: ein Könner des Songwritings. Nicht unumstritten waren damals seine Auftritte, und die Tötung eines Huhns auf offener Bühne sorgte 1974 dafür, dass Cale während einer Tour von seiner – vegetarischen – Begleitband verlassen wurde. Danach veröffentlichte er inspirierten Rock oder politischen Pop, arbeitete mit Brian Eno, Bob Neuwirth und – 1990 – sogar wieder mit Lou Reed. Dazwischen gab es Familienpausen, Soundtracks und Adaptionen des walisischen Dichters Dylan Thomas, und zuletzt wurde Cales Musik immer sparsamer und akustischer.

Wenn er jetzt alleine und ohne Plattenvertrag konzertiert, mag Cale die eine oder andere Perle seiner beinahe 40-jährigen, wechselhaften Rock-Karriere dabei haben. Und vielleicht spielt der charmant Ergraute sogar ein paar VU-Klassiker im gelassenen Gewand, das die zunehmende Geschichtswerdung mit sich bringt.

Sonntag, 21 Uhr, Fabrik

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