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Wühlen im Wohnklima

■ Ehe für die Straßenbahn gebaut wird, feiern die Chauken ihr Comeback / Gestern konnten die Osterholzer schon mal die Reste ihrer Vorfahren besichtigen

Herrliche Lebensumstände müssen das gewesen sein, die in Osterholz zur Zeit der Chauken herrschten. Die Ur-BremerInnen logierten in fensterlosen Pfahlbauten mit Wänden aus Flechtwerk und Lehm, in denen sich Mensch und Tier auf der Pelle saßen. Zumindest die Schweine mussten aber schon damals aus dem Wohnzimmer fernbleiben. Besonders während des Winters wird die Luft in den Wohnstätten reichlich dick gewesen sein. Doch damit nicht genug. Nach spätestens 30 Jahren waren die Gebäude hoffnungslos baufällig und wurden abgerissen, selbst wenn die Hauseigner den Pflichten des regelmäßigen Pfostenwechsels nachgekommen waren. Brauchbares Material wurde allerdings direkt wieder verwertet.

Der Archäologe Dieter Bischop steckt voller solcher Schilderungen des Chauken-Alltags. Eines Alltags, dessen Spuren bald verloren sein werden, wenn hier – so ist es derzeit geplant – an der Osterholzer Heerstraße die Straßenbahn ihre Wendeschleifen zieht. Mit spürbarem Enthusiasmus zeichnet Bischop ein lebendiges Bild der betagten Siedlung, deren früheste Spuren bis ins Jahr 500 v. Chr. zurückführen, direkt in die vorrömische Eisenzeit. Die Besucher der Ausgrabungsstelle sind am gestrigen Tag der offenen Tür sichtlich beeindruckt. Zum einen von der Offenbarung, welch geschichts-trächtiger Boden zu ihren Füßen liegt, zum anderen aber auch von der erfolgreichen detektivischen Arbeit der Archäologen. Bischop und sein Kollege Karl Christian von Fick berichten über römische Holzfässer, deren eingebrannte Siegel dem kundigen Auge Aufschluss darüber geben, dass in Osterholz gallischer Wein gelagert wurde.

Nicht immer sind hölzerne Funde so dankbar, wie von Fick am Beispiel eines vermutlichen Bottichs erklärt. Häufig sei das Material von einer Krankheit befallen, die er als „Morbus Balsen“ bezeichnet – das Holz habe dann in etwa die Konsistenz eines feuchten Kekses, was der archäologischen Bergung wenig zuträglich sei.

Bis 200 n. Chr ist eine Besiedlung des Dorfkomplexes belegt. Was danach geschah, gibt den Ausgräbern Rätsel auf. Ein Ende der Dorfgemeinschaft durch die Pest oder eine andere Krankheit hält Dieter Bischop ebenso für möglich, wie Hungersnot oder überschwemmte Ackerflächen. Auch kriegerische Handlungen schließt er nicht kategorisch aus, obwohl bislang keinerlei Waffen gefunden wurden. Überliefert ist hingegen, dass sich die Chauken weigerten, sich im Teutoburger Wald in germanischer Sache zu schlagen, was durchaus mit der Vorliebe für den galloromanischen Rebensaft zusammenhängen mag. Doch ihre Liebäugelei mit dem Römischen Reich wird schwerlich mit dem Verlassen der Siedlung zusammenhängen, auch wenn die Vorstellung einer Ur-Osterholzer Minderheit am Tiber durchaus ihren Reiz hat. Ein anderes Rätsel betrifft die sozialen Strukturen der Dorfgemeinschaft. Der Brauch der Feuerbestattung machte die Toten dermaßen gleich, dass etwa die Frage, ob die Einwohner Sklaven hielten, kaum zu beantworten ist.

Eine erste Zwischenbilanz der archäologischen Spurensicherung zeigt die Foto-Dokumentation im Ortsamt Osterholz. Auch erste Ergebnisse der Puzzlearbeit, die aus dem vorgefundenen Scherbenhaufen erwachsen sind, sind dort dokumentiert. Doch die Arbeit vor Ort nähert sich noch längst nicht dem Ende. Weitere Grabungen stehen an. So wird es noch einige Zeit dauern, bis Straßenbahnen über die historische Stätte gleiten. Dann werden die Grundrisse der Chauken-Siedlung endgültig der Vergangenheit angehören. Christoph Kutzer

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