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Athletik, leicht gemacht

Heute nacht beginnt die neunte Leichtathletik-WM in Edmonton, Kanada. Die taz hat eine Ahnung davon, was in den kommenden zehn Tagen passieren wird. Spektakuläre Stabbrüche zum Beispiel

aus Edmonton FRANK KETTERER

Freitag, Tag 1: Es war gut gemeint, letztlich aber schlägt der Plan fehl, die Zielankunft des Marathonlaufs in die Eröffnungsfeier zu integrieren. Zwar beginnen die 50.000 Zuschauer im herausgeputzten Commonwealth Stadion pünktlich um 20.50 Uhr Ortszeit (4.50 MESZ) lauthals zu jubeln, von den Läufern aber ist weit und breit nichts zu sehen. Nachdem auch gut eine halbe Stunde später sich kein Athlet blicken lässt, beginnen die Kampfrichter aufgeregt nach dem Verbleib der Sportler zu fahnden. Ergebnis: 95 Prozent von ihnen sind zum benachbarten Skyreach Center, der Heimstatt der Edmonton Oilers, gelaufen, haben sich dort über die verschlossenen Tore gewundert und sich enttäuscht in ihre Unterkünfte zurückgezogen: die restlichen fünf Prozent mussten vorher passen und entkräftet aussteigen. Kurz nach Mitternacht beschließt Lamine Diack, Präsident des Internationalen Leichtathletik Verbandes (IAAF), die WM dennoch zu eröffnen – auch ohne Marathonläufer.

Samstag, Tag 2: Sprinter Maurice Greene sorgt gleich bei seinem ersten Auftritt für einen Skandal: Wenngleich der schnelle Mann aus den Staaten seinen Vorlauf über 100 Meter gewinnt in neuer Weltrekordzeit von 9,78 Sekunden, gibt er danach seinen Verzicht auf weitere Starts bekannt. Greenes Begründung: „Ich kann ja nicht bei jedem Sportfest in der Provinz schnell laufen. Meine Kräfte schone ich lieber für Olympia in Athen.“

Sonntag, Tag 3: Astrid Kumbernuss gewinnt Gold im Kugelstoßen. Zwar wuchtet die Mecklenburgerin die Kugel nur auf 19,37 m und damit lediglich auf die drittgrößte Weite, in der B-Note aber macht sie dieses Defizit wieder wett. Eingeführt wurde die neue Bewertung erst kurz vor der WM, um, so die offizielle Verlautbarung, „Weiblichkeit und Restanmut im Kugelstoßen der Frauen zu fördern und Vermännlichungssymptomen Einhalt zu gebieten“. Den beiden weitenmäßig vor Kumbernuss platzierten Ukrainerinnen wird allerdings eine zweite Chance eingeräumt: Sollten sie ihre Hormonkur bis zu den Olympischen Spielen in drei Jahren erfolgreich abgeschlossen haben, ist ihnen dort ein Startplatz zugesichert – im Männerwettbewerb.

Montag, Tag 4: Die Kollegen vom deutschen Fernsehen stecken bei der Übertragung des Zehnkampfes in Schwierigkeiten. Frank Busemann, als Ko-Kommentator vorgesehen, reißt sich beim Betreten des Studios sämtliche Bänder im linken Fuß sowie den Meniskus und fällt bis auf weiteres aus. Zwar ist mit Jürgen Hingsen flugs Ersatz zur Stelle, doch verhaspelt der sich bereits beim 100-m-Start dreimal so vehement, dass Gerhard Delling ihn aus dem Studio werfen lässt. Das sorgt vor allem in der Reporterkabine nebenan für jede Menge Frohsinn. Dort kringelt sich Daley Thompson, Zehnkampfkommentator für die BBC, vor Lachen: „Der Hingsen war schon immer eine Flasche.“

Dienstag, Tag 5: Nils Schumann gewinnt den 800-Meter-Lauf und gibt danach auf einer extra einberufenen Pressekonferenz seine frisch entfachte Liebe zu Franziska van Almsick bekannt. Diese dementiert heftig. Sie finde Nils ganz nett, vor allem sein Oberarm-Tattoo, eine Beziehung aber könne sie nicht mit ihm eingehen. Schließlich habe ihr jetziger Freund, der Handballer Stefan Kretzschmar, ihre Ganzkörper-Tätowierung noch nicht fertig eingraviert. „Mit der“, so van Almsick, „werde ich wieder Weltrekordlerin.“ Der Schwimmweltverband will in Kürze prüfen, ob die neue Schwimmkleidung der Berlinerin regelkonform ist.

Mittwoch, Tag 6: Nach einem gemütlichen Beisammensein, zu dem die IAAF die Weltpresse am Vorabend geladen hat, bleiben selbst kurz vor Wettkampfbeginn alle Plätze der Berichterstatter leer (mit Ausnahme der taz), worauf sich die IAAF nach mehrstündiger Beratung dazu durchringt, die für diesen Tag geplanten Entscheidungen abzusagen und ersatzlos zu streichen.

Donnerstag, Tag 7: Die hoch gehandelten deutschen Stabhochspringer stürzen ab: Bereits bei der Anfangshöhe von 5,55 Meter brechen Ecker, Stolle und Spiegelburg die Stäbe. „Ich will ja niemanden verdächtigen“, sagt der wütende Danny Ecker, „aber das riecht stark nach Sabotage.“ Dass tags zuvor der nicht für die WM qualifizierte Tim Lobinger in einem Heimwerkercenter in East-Edmonton von Offiziellen des DLV beim Kauf einer Säge beobachtet worden sein soll, wird später dementiert.

Freitag, Tag 8: Völlig überraschend taucht Dieter Baumann in Edmonton auf, beruft im noblen Hotel MacDonald eine Pressekonferenz ein und teilt mit, dass er seine Sperre wegen Dopings ab sofort für beendet erkläre und bereits am Abend im 5.000-Meter-Finale zu starten gedenke. Die IAAF wertet Baumanns Vorgehen als erneute Provokation und schaltet die Polizei ein, die bei einer Razzia im Hotelzimmer des Schwaben unzählige Tuben Zahnpasta findet, für die Baumann keine Importgenehmigung vorweisen kann. „Ohne ausreichend Zahnpasta reise ich nie zu Wettkämpfen“, versucht sich der Olympiasieger zwar zu rechtfertigen, die kanadischen Cops schieben ihn aber trotzdem nach Deutschland ab.

Samstag, Tag 9: Beim 50 Kilometer Gehen der Männer kommt es zu einer faustdicken Überraschung: Gold geht nicht an einen der Favoriten aus Polen, Mexiko oder Russland, sondern an einen bisher völlig unbekannten Athleten. Wie bekannt wird, ist der Mann von Beruf Millionär und wohnt in Entenhausen.

Sonntag, Tag 10: Die WM endet, wie sie begonnen hat: mit einem Marathonlauf. Allerdings verlaufen sich die Frauen im Gegensatz zu den Männern nicht, sondern halten sich strikt an die blaue Linie, die man auf die Straßen gemalt hat und die sie zielsicher und ohne weitere Umwege ins Stadion führt. „Man muss schon ganz schön bescheuert sein, um sich da zu verlaufen“, sagt Sonja Oberem, auf Rang sieben beste Deutsche. IAAF-Präsident Lamine Diack freut sich derweil, dass er die WM von Edmonton wenigstens pünktlich beenden kann und lädt die Welt in zwei Jahren nach Paris ein.

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