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Katastrophe unter Chinas Erde

Versucht die Führung der Volksrepublik eines der schlimmsten Bergwerksunglücke ihrer Geschichte zu vertuschen? Staatliche Zeitungen berichten von bis zu 200 Toten. Doch die Regierung in Peking weiß davon nichts – jedenfalls offiziell

aus Peking JUTTA LIETSCH

Versuchen chinesische Behörden, eines der schlimmsten Grubenunglücke in der Geschichte des Landes zu vertuschen? Oder sind die seit zwei Wochen in Zeitungen veröffentlichten Berichte über den Tod von bis zu 200 Menschen glatt „erfunden“, wie der Vertreter der Handels- und Wirtschaftskommission in der südchinesischen Provinz Guangxi behauptet?

Die Informationen blieben bis gestern widersprüchlich. Nur so viel scheint bislang klar zu sein: Am 16. oder 17. Juli kam es in einem Zinnbergwerk im Kreis Nandang zu einem dramatischen Zwischenfall, als eine Schachtwand plötzlich nachgab und Wassermassen aus einer benachbarten Mine die Longquan-Mine überfluteten. Nach Angaben lokaler Journalisten arbeiten in den fünf Schächten der Mine normalerweise je 40 Kumpel und zehn Vorarbeiter.

Die Shanghaier Tageszeitung Wenhui hatte am Mittwoch von 70 Toten berichtet, die bereits geborgen worden seien, weitere 200 Menschen seien noch in der Tiefe gefangen. Die China Daily berief sich gestern auf „lokale Quellen“, nach denen „bis zu 300 Menschen“ eingeschlossen seien. Das englischsprachige Parteiblatt zitierte gleichzeitig einen Herrn Zhou vom Amt für Arbeitssicherheit in Guangxi, der bislang „noch nichts von den gemeldeten Toten“ gehört habe.

Unabhängige Informationen fehlen, weil die lokalen Behörden sowohl chinesischen als auch ausländischen Journalisten den Zugang zur Unglückstelle verwehren. Die Mine soll der Kreisverwaltung des Provinznests Nandan unterstehen. Laut Wenhui sollen die Betreiber den Familien der Opfer Geld angeboten haben, um ihr Schweigen zu erkaufen.

Dies ist nur das jüngste in einer Serie von Bergwerkskatastrophen in China, bei denen in diesem Jahr schon mindestens 3.000 Menschen ihr Leben verloren. Im vergangenen Jahr wurden 5.300 Opfer bekannt. Erst in der vergangenen Woche starben bei einer Explosion in einer Kohlemine 92 Kumpel.

Die Affäre wirft ein Schlaglicht auf die unheilige Allianz von Bergwerksbetreibern, lokalen Politikern und der Polizei, die solche Unfälle immer wieder leugnen und vertuschen. Besonders in den armen Regionen wie Guangxi, Yunnan und Sichuan arbeiten zahlreiche illegale Bergwerksgruben ruben, deren Verantwortliche unbehelligt bleiben, solange sie die lokalen Behörden schmieren.

Für die Kreisverwaltungen sind die illegalen Minen eine wichtige Einkommensquelle, deshalb drücken sie beide Augen zu. Und die Arbeiter nehmen die Gefahr in den nicht gelüfteten Schächten in Kauf, weil ein gefährlicher Job immer noch besser ist als gar keiner.

Das Guangxi-Unglück wurde nur bekannt, weil lokale Journalisten ihre Erkenntnisse übers Internet verbreiten konnten. Obwohl die Regierung in Peking angekündigt hat, sie wolle die Sicherheitsbedingungen in den Schächten verbessern, geschah bislang wenig, denn der Arm der Zentrale langt nicht bis in die entlegenen Provinzen.

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