: Zwergenaufstände am Main
Grenzkontrolle an der Postleitzahlengrenze, Personenbefragung nach der Schuhgröße: Aktionen der AntirassistInnen lassen die Frankfurter Polizei schwitzen
FRANKFURT/MAIN taz ■ Herr Müller ist Einsatzleiter, marschiert vorneweg und fleht fast: „Bitte, hier lang! Ihr wolltet doch zum Konzert!“ Und: „Das hat doch schon angefangen!“ Kurze Diskussion und die rund 600 Spontandemonstranten vom 4. Antirassistischen Grenzcamp in Frankfurt am Main verzichten auf den Marsch durchs Viertel und biegen artig links ab, zurück zum Konzert am Hauptbahnhof. Dort hatten sie am Mittwochabend zwei Stunden lang einige Gleise blockiert. Sie protestierten gegen die Personenkontrollen des Bundesgrenzschutzes und gegen das Werbekonzept der Bundesbahn: „Service–Sauberkeit–Sicherheit“, das sich vor allem gegen Obdachlose, Prostituierte, Drogenabhängige und ihre Treffpunkte richtet.
Das Zeltdorf der Camper in der Anrainergemeinde Kelsterbach ist seit der vergangenen Woche auf über 1.000 Besucher angewachsen. Deren zahlreiche Aktionen halten die Polizei seit Tagen in Atem: Stürmung des Foyers der Frankfurter Börse mit der Forderung von angemessenen und schnellen Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter, eine kurze Besetzung des SPD-Fraktionsbüros im Rathaus Römer als Protest gegen die Verhaftungen beim G-8-Gipfel in Genua, symbolische Schaffung neuer Grenzen durch Sperrungen von Brücken und Fußgängerzonen, Personenkontrollen: „Sie verlassen den Postleitzahlenbereich 60594.“ Die Passanten nahmen es gelassen und füllten willig Fragebogen zur Person ausschließlich deutscher Staatsbürger aus: „Welche Schuhgröße haben Sie?“ Größere Konfrontationen blieben aus.
Eine mehrstündige Blockade der S-Bahnen in der Frankfurter Innenstadt war eher der aus Berlin an den Main beorderten Polizeiverstärkung geschuldet: Offensichtlich auf Kreuzberger Verhältnisse eingestellt, versuchte sie einzelne Demonstranten aus einem vollbesetzten Zug zu ziehen und zu attackieren, bis dann im dichten Gedränge an den Gleisen zur Berufsverkehrszeit gar nichts mehr ging.
Auch gestern setzten sich die Protestaktionen fort. Eine Theatergruppe spielte vor dem Verwaltungsgericht und protestierte damit gegen die Abschiebung von Asylbewerbern, eine andere demonstrierte vor dem Gesundheitsamt zusammen mit Mitgliedern der Sinti-und-Roma-Union.
Fraglich blieb gestern, ob die für Samstag, 12 Uhr, angesagte Abschlussdemo vor dem exterritorialen Internierungslager auf dem Flughafengelände genehmigt stattfinden kann. Der Flughafenbetreiber Fraport hatte eine Demo am vergangenen Samstag verhindert. Vorbeugend blockierten die Camper den Flughafen schon mal.
Deutsche Presse-Agentur (dpa) und Associated Press (AP) haben derweil beim hessischen Innenministerium scharf gegen die dreistündige Festnahme eines Fotografen und einer Journalistin protestiert. Den beiden waren Filme und Kassetten abgenommen worden. Die Polizei warf ihnen Hausfriedensbruch und Körperverletzung vor. Sie hatten die Errichtung eines Gartenzwergdenkmals im Garten eines rechten CDU-Kommunalpolitikers journalistisch begleitet.
Das am Mittwochabend angemeldete Konzert mit der Hamburger Band „Blumfeld“ begann mit Verspätung, weil die Camper einen Todesfall zu beklagen hatten. Im Baggersee nahe dem Zeltlager war am Nachmittag ein 27-jähriger Kubaner ertrunken, der als Mitglied einer brandenburgischen Flüchtlingsinitiative angereist war. HEIDE PLATEN
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