: Lässige Haltung in Erdnähe
Sich selbstbewusst auf der Fläche weich zu betten, die sonst von allen mit Füßen getreten wird, mag nicht jedermanns Sache sein. Bequem und entspannend ist das Sitzen auf dem Boden aber allemal
von MICHAEL KASISKE
Als „zentrifugales Prinzip“ bezeichnete eine Freundin die Ordnung in ihrem kleinen Zimmer in einer Neuköllner Hinterhofwohnung, Erdgeschoss. Die Matratze als Sitz- und Schlaffläche lag in der Mitte des Raumes, und der übrige Kram war ringsherum verstaut. Die günstige Studentenklause bot nicht mehr Fläche. Und das Hochschulleben auf dem Fußboden zu organisieren, ist tatsächlich nichts Besonderes mehr, seitdem studentische Untermietverhältnisse durch selbst bestimmte Räume ersetzt worden sind.
Wer jedoch über die vielseitig nutzbare Matratze hinaus das Sitzen auf dem Boden kultivieren will, kann nicht nur auf niedrige Sofas oder Sessel zurückgreifen, sondern auch auf eigens für die Erdnähe konzipierte Entwürfe. Das Bodenobjekt „blast“, entworfen von der Berliner Designerin Cordula Kafka, ist freilich mehr eine Skulptur als ein Möbelstück. Was formal wie ein gestepptes quadratisches Bodenkissen erscheint, ist tatsächlich eine schwere Keramik. Die Originalfassung besteht aus frostfestem Steinzeug, das mit Glasuren in den Farben schwarz, weiß oder grau erhältlich ist. Lediglich das mittlere Feld entpuppt sich als Polster und lässt den Sitzenden bequem zwischen den acht harten Wölbungen ruhen.
Obgleich sich die Oberfläche angenehm anfühlt und auch der Glanz der glasierten Keramik einen spezifischen Reiz hat, schränken das kühle Material, das Gewicht von etwa 50 Kilogramm und letztlich auch der durch die aufwändige Herstellung bedingte hohe Preis den Kreis der Benutzer stark ein. Um mit diesem Entwurf letztlich nicht nur Boutiquen und Showrooms zu bestücken, sondern um ihn auch im häuslichen Bereich zu verwenden, hat Kafka den „blast fibre“ entwickelt. Diese Variante besteht aus laminiertem Fiberglas, einem ebenfalls wetterfesten Material. Sie ist in individuell zu bestimmenden Farben mit den Oberflächen perlglanz und transluzent lieferbar, wiegt nur rund fünf Kilogramm und kostet lediglich ein Drittel von dem, was für die Keramikausführung verlangt wird. Vor allem aber fühlt sich das Fiberglas wärmer an, wenngleich die Kühle der Keramik bei den derzeitigen Hochsommertemperaturen sicherlich angenehm empfunden wird.
Sitzen auf dem Boden ist ein Privileg junger Leute. Denn ab einem bestimmten Alter – bei den meisten ab Mitte 50 – bleiben allenfalls eingefleischte Yogis auf dem Teppich, alle anderen zieht es in höhere Positionen, zu sehr knirscht es in den Knochen beim Aufstehen vom Boden. Wem sein Sitzfleisch nicht ausreicht, kann sein Gesäß auch auf Bodenkissen weich betten. Häufig sind diese mit Leder oder Kelim bezogen. Etwas Besonderes sind die Filzkissen von Moda Statura, nicht nur wegen des ungewöhnlichen Materials, sondern weil sie auch wesentlich voluminöser sind als die konventionellen, flachen Bodenkissen.
Die kleine Manufaktur ist durch einen Verein entstanden, dessen Ziel sein Name ist, nämlich die „Förderung ökologisch-ökonomisch angemessener Lebensverhältnisse südlich des Plauer Sees“ (FAL e. V.). In der Ulepüle, einem für die Leinen- und Filzherstellung umgestaltetes Fachwerkhaus aus dem Jahr 1789, wird nach traditionellen Methoden gewebt und gefilzt. Die prallen Bodenkissen sind etwa einen halben Meter groß und haben eine angenehm feste Beschaffenheit. Das liegt vor allem an dem aus Schafwolle hergestellten Filz, der schon aufgrund seiner Materialstärke nur weiche Formen annehmen kann. Zudem ist der gewalkte, „verfilzte“ Stoff ein gegen Feuchtigkeit und Schmutz unempfindliches Material, also gerade das Richtige für den direkten Kontakt zum strapazierten Fußboden. Sich selbstbewusst auf der Fläche zu fläzen, die sonst von allen mit Füßen getreten wird, darin lag die Kraft der Demonstrationsform des Sitzens, dem so genannten Sit-in. Ob im öffentlichen Bereich auf der Straße, etwa gegen Rüstungstransporte, oder in vier Wänden, wie weiland Yoko Ono und John Lennon gegen den Krieg in Vietnam, wurde wortwörtlich die an Aufbau und heile Welt orientierte Erwachsenengeneration in den Sechzigerjahren in die Knie gezwungen.
Die Vorstellung, heute bei einer solchen Kundgebung die Teilnehmer auf das 1999 von Fabrizio Bertero und Andrea Panto entworfenen Sitzstück „Globulo“ zu setzen, ergibt ein dekadentes, aber schönes Bild. Denn der runde Globulo mit einem Durchmesser von 70 Zentimetern ist aufgrund seines geringen Gewichts leicht hin- und herzutragen und wirkt durch seine schlichte, runde Form. Ein Gag ist, dass der Kunststoff phophoreszierende Eigenschaften hat und somit im Dunkeln in seinen Farben rot, orange, grün und weiß leuchtet.
Tatsächlich ist Globulo als eine Weiterentwicklung des altertümlichen Puffs gedacht. Bekannt als gepolsterter Behälter für schmutzige Wäsche in den Schlafzimmern der Fünfzigerjahre, ist ein „Puff“ eine Art Hocker ohne Beine. Der Globulo ist aufgrund seiner geringen Höhe von 22 Zentimetern eine recht manierierte Interpretation dieses beinahe ausgestorbenen Möbelstücks und kann wohl eher als eine Transformation des konventionellen Bodenkissens in farbiges PVC betrachtet werden. Ein Manko ist das bei heißem Wetter unangenehme Klebegefühl auf seiner Kunststoffoberfläche.
Von den noch zu erwartenden Begleiterscheinungen des Alters einmal abgesehen, ist das Sitzen auf dem Boden für mich die schönste Haltung für die lässige Konversation. Die eingangs erwähnte Freundin lebt heute, inzwischen Redakteurin, mit Sofa und Sessel, doch wenn es gemütlich wird, rutschen wir auf den Teppich und benutzen die Sitzmöbel allenfalls noch als Rückenlehne. Das sichtbare Aufgeben der Konvention ist irgendwie immer noch ein Zeichen für die sich befreiende Haltung des Bewusstseins.
„blast“ über Cordula Kafka, Tel.: (030) 4 76 69 97, www.kafkadesign.de. Moda Statura Leinen- und Filzmanufaktur, Am Dorfplatz 49, 19395 Retzow, www.fal-ev.de; in Berlin bei: Kollwitz 45, Kollwitzstraße 45, Berlin-Pankow, www.kollwitz45.de. Globulo u. a. bei: Kollwitz 45 & Modus, Wielandstraße 27–28, Berlin-Wilmersdorf, Sarnes-Einrichtungen im Stilwerk, Kantstraße 17, Berlin-Charlottenburg
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