: „Heroen schaffen!“
Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, über seinen Unwillen, in Edmonton Medaillen zu zählen, und über das Dopingproblem einer „weitgehend sauberen Sportart“
Interview FRANK KETTERER
taz: Herr Prokop, es ist Ihre erste WM als Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Was erwarten Sie?
Clemens Prokop: Erfreuliche Ergebnisse. Allerdings muss man sehen, dass wir auch bei dieser WM unsere Erwartungen nicht zu hoch schrauben dürfen, weil im Vorfeld doch einige Leistungsträger Probleme hatten, wie zum Beispiel Charles Friedek, der seinen Titel im Dreisprung nicht verteidigen kann, oder Lars Riedel, der verletzt in die Saison gestartet ist. Zudem haben wir die jüngste Mannschaft aller Zeiten, die sehr stark auf die Zukunft ausgerichtet ist. All das muss man bei einer Prognose berücksichtigen.
Vor der Abreise nach Edmonton haben Sie gesagt, man müsse „mit realistischen und erzielbaren Erwartungen nach Edmonton fahren“. Wie drückt sich das in Medaillen aus?
Es ist immer schwierig, Medaillen vorauszusagen. Ich denke, dass wir in einer Reihe von Disziplinen gute Chancen auf Silber und Bronze haben; Goldmedaillen dürften diesmal allerdings sehr schwer werden. Oft entscheidet da ja auch ein Quäntchen Glück, und schon deswegen wäre es schwer, eine Prognose abzugeben. Zumal das Zählen von Medaillen nicht repräsentativ für die Leistungsfähigkeit einer Sportart ist.
Die Öffentlichkeit in Deutschland interessiert in erster Linie, wie viel Gold, Silber und Bronze deutsche Athleten gewinnen.
Das ist richtig. Es wäre aber viel realistischer, wenn man die Anzahl der Endkampf- oder Endlauf-Platzierungen zählen würde. Beim Stabhochsprung in Sydney hatte der Vierte, Michael Stolle, die gleiche Höhe wie der Olympiasieger und gewann nur deshalb keine Medaille, weil er am Ende mehr Fehlversuche hatte. Stolles Leistung aber war genau die gleiche wie die des Olympiasiegers. Ich finde, an diesem Beispiel sieht man wirklich sehr gut, dass das Medaillenzählen sehr fragwürdig ist.
Dennoch wird die Ausbeute wohl kleiner sein als bei der letzten WM 1999 in Sevilla, wo der DLV zwölf Medaillen gewann. Kann man daraus ableiten, dass die deutsche Leichtathletik im Abschwung ist?
Nein, das sehe ich nicht so. Wenn man eine Zukunftsprognose abgibt, muss man sich auch an den Ergebnissen der Juniorenmeisterschaften orientieren. Und da waren wir bei der letzten EM und WM weltweit führend. Mit dieser Ausgangsbasis haben wir das Potenzial, nicht nur unseren Platz in der Welt zu behaupten, sondern ihn sogar noch auszubauen. Was uns hierfür allerdings gelingen muss, ist dieses Drop-out zu minimieren, das heißt den Ausfall von Athleten, wenn sich junge Sportler zwischen beruflicher Qualifizierung und Fortsetzung ihrer Leistungssportkarriere entscheiden. Wir müssen die Talente, die wir haben, zur absoluten Weltklasse weiterführen und darauf achten, dass sie uns zwischendurch nicht verloren gehen. Das ist unsere Hausaufgabe für die Zukunft.
Hier in Edmonton werden Sie sich aber, was vordere Platzierungen angeht, in erster Linie wohl auf die Altgedienten verlassen müssen.
Das kommt darauf an, ich würde Nils Schumann nicht zu den Altgedienten zählen.
Dem trauen wir, ehrlich gesagt, auch keine Medaille zu.
Nun gut. Ich will damit nur sagen, dass das Zuspitzen auf die Altgedienten der Situation nicht gerecht würde. Im Gegenteil: Ich denke, dass eine Reihe junger deutscher Athleten realistische Medaillenchancen hat.
Wer kommt Ihnen da in den Sinn?
Ich will keine Namen nennen, das mache ich nur sehr ungern, weil so etwas immer einen Erwartungsdruck erzeugt und nur kontraproduktiv ist.
Zuletzt war viel von den jungen Wilden im DLV die Rede, sogar der Spiegel hat von „Love Parade mit Spikes“ geschrieben. Ist dies das neue Image, das Sie der Leichtathletik verpassen möchten: Tattoo, Piercing und Strähnchen im Haar?
Genau. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Das Dilemma der Leichtathletik ist, dass ihr manchmal noch der Muff der Sechzigerjahre anhängt. Dieses Image wollen wir ablegen.
Wie lange haben die jungen Wilden Zeit, an die Weltspitze zu kommen?
Da gibt es keine zeitliche Begrenzung. Gleichsam aber besteht die Gefahr, dass spätestens nach der EM nächstes Jahr in München ein Großteil der erfolgreichen Altgedienten, wie zum Beispiel Heike Drechsler, abtreten wird.
Wie wollen Sie einen Leistungseinbruch verhindern?
Richtig ist, dass wir den in einigen Disziplinen tatsächlich registrieren mussten. Gerade deswegen müssen wir an die systematische Förderung der Jugend denken. Wenn wir das hinkriegen, ist mir nicht bange.
Bis 2004 müssen Sie es spätestens geschafft haben. Dann endet der Olympiazyklus, und die Fördergelder des Innenministeriums werden neu verteilt.
Bis Olympia 2004 in Athen muss uns vieles gelungen sein, was wir jetzt begonnen haben. Wobei es ja nicht nur um die öffentlichen Gelder geht, sondern auch um die der privaten Sponsoren und der Wirtschaft, auf die wir angewiesen sind. Beides zusammen erfordert, dass wir uns auf dem Markt der Sportarten in Deutschland behaupten.
Was muss die Leichtathletik dafür tun?
Internationale Erfolge vorweisen, ganz klar. Damit steht und fällt das nationale Image einer Sportart, gerade hierzulande. Und wir müssen es schaffen, unseren Sport zu personalisieren. Wir müssen Heroen schaffen und Heroen präsentieren. Sport in Deutschland wird ganz entscheidend über Personen wahrgenommen. Dieser Realität müssen wir uns stellen.
Dieter Baumann, Falk Balzer, Amewuh Mensa –hat der DLV ein Dopingproblem?
Es gibt in Deutschland keinen anderen Sportverband, der so streng kontrolliert wie der DLV. Und wo engmaschig kontrolliert wird, wird natürlich auch etwas entdeckt. Hinzu kommt, dass wir mit unseren Dopingfällen äußerst transparent umgehen und sie deshalb stärker wahrgenommen werden als die anderer Sportverbände – obwohl die durchaus mehr Dopingfälle als der DLV aufweisen. Generell muss man sehen, dass wir pro Jahr etwa einen Dopingfall hatten. Damit stehen wir, was die Häufigkeit im deutschen Sport angeht, ganz am unteren Ende der Reihe.
Dennoch hat die deutsche Leichtathletik im öffentlichen Bewusstsein von ihrem sauberen Image eingebüßt.
Das mag so sein. Rein zahlenmäßig aber gibt es keine Entwicklung, die den Schluss zulässt, im DLV würde mehr gedopt. Doping im Sport ist ein grundsätzliches Problem. Überall wo ökonomische Gewinne erzielt werden können, ist auch der Versuch da zu betrügen, um ökonomische Vorteile zu genießen. Deshalb ist Doping keine Frage der Sportart, sondern der Kontrolldichte. Also testet der DLV so engmaschig wie möglich. Doping lässt sich zwar auch bei uns nicht einfach so verbieten, aber wir wollen die Hemmschwelle so hoch ansetzen, dass wir sagen können: Wir sind eine weitgehend saubere Sportart.
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