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Vorsicht, Dias!

2.800 Urlaubsdias sind das Herzstück der Installation „Sichtbare Welt“ der Schweizer Künstler Peter Fischli und David Weiss. Ein vor allem selektiver Blick auf die Welt in den Berliner Kunst-Werken

Irgendwann wirkt alles gleich: die Hochhäuser von Singapur und Sydney, die Landschaften Schottlands, Indiens und Kenias. Nur Menschen und Schriftzüge geben nähere Hinweise.

von CHRISTINE BERGER

Dias schauen kann so langweilig sein. Eingezwängt zwischen Chipstüten, Couchgarnitur und lautstark kommentierenden Gastgebern, starrt man auf die Wand, bis man zu gähnen anfängt und das Kinn ab und an auf die Brust sinkt. Abgeschnittene Köpfe vor fremden Landschaften, Gipfelkreuze, Kirchtürme, nichts bleibt einem erspart, die Welt in ihrer ganzen Buntheit und Beliebigkeit wird einem serviert.

Diese Beliebigkeit kann allerdings auch faszinierend sein, wenn man sie zum Programm erklärt und auf die Spitze treibt: 2.800 großformatige Dias muss sich anschauen, wer die Installation „Sichtbare Welt“ von Peter Fischli und David Weiss komplett verstehen will. Die Schweizer Künstler stellen sie im Rahmen der Ausstellungsreihe „Bildarchive“ in den Austellungshallen der Kunst-Werke Berlin zur Schau. Wellenförmig windet sich ein mindestens zwanzig Meter langer Leuchttisch durch den Raum, auf dem die ganze Welt, scheinbar thematisch geordnet, gezeigt wird.

Auf den ersten Blick erinnern die Abbildungen an Reisebroschüren oder eigene Urlaubsfotos. Ansichten von Städten, Landschaften und Sehenswürdigkeiten, Stonehenge, die Pyramiden, Rio de Janeiro und das Matterhorn wechseln mit Fotografien von spielenden Kindern, Schrottautos oder Tankstellen. Stadt und Land werden miteinander verbunden, das Lokale steht gleichwertig neben dem Globalen, Berühmtes neben Gewöhnlichem. Peter Fischli und David Weiss greifen den Gestus des Urlaubsfotos auf und suchen ihrerseits nach dessen Perfektion. Sie suchen nach dem perfekten gewöhnlichen Standpunkt.

Für den Betrachter entpuppt sich die scheinbar unterhaltsame Weltumrundung mit dem Auge schon nach kurzer Zeit als harte Nuss. Am Anfang neigt man noch zur Analyse der unbeschrifteten Diamotive, die Fischli und Weiss auf unzähligen Reisen durch die Welt eingefangen haben. Doch irgendwann wirkt alles gleich: die Hochhäuser von Singapur, New York und Sydney, die Landschaften Schottlands, Indiens und Kenias. Nur die Menschen und Schriftzüge geben manchmal Hinweise, auf welchem Kontinent man sich gerade befindet. Irgendwann schmerzen die Augen, und man dreht den Kopf ins Dämmerlicht des Raums. Zeit für eine Augenpause.

Die kann man sich gönnen, denn anders als bei gewöhnlichen Diaschauen sind Betrachtungszeit und Anzahl der Bilder, die man anschauen muss, bei Fischli und Weiss nicht festgelegt. Der Betrachter muss nicht warten, bis ihm das nächste Dia vorgesetzt wird, sondern kann seinem eigenen Rhythmus folgen, kann jedes einzelne Dia betrachten (was ziemlich ermüdend ist) oder den Leuchttisch abschreiten und ab und zu einen selektiven Blick darauf werfen.

Die Beliebigkeit des Blicks auf die Welt zu verdeutlichen ist denn auch das Anliegen, das die Künstler mit ihrer Installation „Sichtbare Welt“ verfolgen. Die Welt ist zu komplex, zu sehr in stetigem Wandel begriffen, als dass Übersicht möglich wäre oder eine repräsentative Auswahl von Motiven zu treffen, wenn diese Übersicht fehlt. So sehen wir nur, was Fischli und Weiss auf ihren Reisen interessant und wichtig erschien. Diese Willkür aber stellt auch die vermeintliche Objektivität von Ordnungssystemen und Archiven im Allgemeinen in Frage. Auch sie wählen subjektiv aus.

Und das sollte alle Dia-Hasser trösten: Hinter jeder noch so banalen Abbildung steckt eine ganz eigene Welt. Ein Geflecht aus Beziehungen. Und die muss man sich einfach bildlich vorstellen, visualisieren. Auf einer solchen Traumreise, angeregt durch den Diaprojektor, ist dann auch das x-te Motiv vom Matterhorn leichter zu ertragen.

„Sichtbare Welt“ von Peter Fischli und David Weiss wird bis zum 4. 10. in Kunst-Werke Berlin, Auguststr. 69, gezeigt. Berlin-Mitte, Telefon (0 30) 24 34 59 50, Di., Mi., Do., So. 12–18 Uhr, Fr., Sa. 12–20 Uhr

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