vorlauf: Geleckte Stiefel
Die Nacht der Kanzler
(22.45 Uhr, SWR)
Macht sei erotisch, sagt Wieland Backes. „Also widmen wir uns der Erotik“, leitet der Moderator die „Nacht der Kanzler“ ein. Wir sind gespannt. Die Dokumentation „Rambo und Stratege: Gerhard Schröder“ von Jochen Graebert und Christoph Lütger zeigt den zielstrebigen Karrieristen Schröder, wie er sich seine Frauen stets passend nach dem Stand seiner derzeitigen beruflichen Ambitionen aussucht. So erfüllt sich Backes vollmundig angekündigter Anspruch immerhin insofern, dass der Film verdeutlicht: Schröder erfüllt in jeder Hinsicht das deutsche Männerideal.
Wir erfahren, dass er „seine“ Frauen stets als gezielte Ergänzung zu äußerlichen Selbstdarstellungswünschen gewählt hat. Hillu, Doris und wie sie alle heißen, waren nie als Person gemeint, sondern als Insignien männlicher Machtdemonstration. What’s new?
Neu ist weder der Film noch die Attitüde, die dahinter steht. Spiegel-Redakteur Hajo Schumacher konstatiert im Film, Schröder habe sich in seinen „Lebensbeziehungen wie in der Politik zeitgeistgemäß verhalten“ – und meint wohl opportunistisch. Doch des Kanzlers Sinnlichkeit, die aufkommt, wenn er selbstvergessen einen VW streichelt, hätte man auch treffender interpretieren können. Von wegen Erotik. Der Kanzler reitet hier des Deutschen liebstes Steckenpferd und setzt aufs Kapital. Aber solche Themen sind ja heutzutage wohl out. Megaout.
Was aber soll uns das Kohl-Porträt „Patriot und Patriarch“, kurz vor Hannelore Kohls Tod gedreht, über Erotik sagen? Das Porträt geht auf Schmusekurs. Lobeshymne und Kniefall von Autor zu Kanzler! Der Fernsehzuschauer spürt förmlich, wie Kai Gnisske sich auf dessen Männlichkeitsstrukturen einlässt – mögen diese noch so verstaubt sein. Hofberichterstattung in Reinkultur: Staatstragend wird vor uns ein strahlender Wiedervereinigungskanzler und Europäer ausgebreitet – stets unterschätzt, versteht sich. Und sonst? Nun einige kleine Macken wie Bitburg oder Bimbes. Mit seriöser Politikanalyse hat das nichts zu tun.
Wahre Größe gewinnt ein Filmemacher wohl erst, wenn er den Machthabern der Republik die Stiefel lecken darf. Erotik? Herr Backes, was ist das bloß?
GITTA DÜPERTHAL
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