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Mit der Krone gegen das Chaos

Die Rückkehr des Prinzen Aleksandar lässt viele Serben auf eine bessere Zukunft hoffen. Überdies will Regierungschef Zoran Djindjić an Schulen wieder Religionsunterricht einführen. Damit glaubt er gegen den religiösen Staatschef punkten zu können

aus BELGRAD ANDREJ IVANJI

„Gott sei Dank, unser König ist nach fünf Jahrzehnten endlich nach Hause gekommen“, sagt der Bauer Milorad aus Sumadija in Zentralserbien, der Hochburg der serbischen Monarchisten, und bekreuzigt sich nach orthodoxer Art. Der König sei etwas Erhabeneres als ein schlichter Ministerpräsident, eben ein gottgegebener Herrscher. Das Königreich verkörpere Ruhm und Glanz, da wisse man wenigstens, wer Herr im Haus ist. Und, Gott sei gedankt, fährt Milorad fort, die Kinder werden im kommenden Schuljahr wieder Religionsunterricht haben. Milorad freut sich. Die Krone an der Staatsspitze und die Kirche als geistiger Führer der Nation – nach einem Jahrzehnt Chaos scheint die Ordnung zurückzukehren.

Zwar ist der serbische „König“ Aleksandar Karadjordjevic nur ein Prinz, und er spricht so gebrochen Serbisch, dass selbst die Mitglieder des Kronrates ein Lächeln unterdrücken müssen. Doch der Sechzigjährige mit englischem Reisepass ist nun einmal der Nachfolger der Dynastie Karadjordjevic und der einzige Hoffnungsträger der Monarchisten.

Durch Serbien fährt er mit einer Kennnummer „Nj-K-V“, „Njegovo kraljevsko visocanstvo“ (seine königliche Hochheit), damit alle gleich erkennen können, dass sie es mit dem König zu tun haben, der mit dem Segen der serbischen orthodoxen Kirche nach Hause gekommen ist.

„Ich wolle zu euch zurückkehren, doch ich nicht haben Schlüssel von meine Haus!“, versuchte der als König titulierte Prinz vor einer zu seinem Ehren organisierten Volksversammlung energisch zu wirken. Die grinsende Masse jubelte und Aleksandar lächelte majestätisch zurück.

Tatsächlich übergab ihm die jugoslawische Regierung vor zwei Wochen die Schlüssel „von seine Haus“: dem Weißen Schloss, dem Belgrader Domizil der Karadjordjevic‘. Serbiens pragmatischer Premier Zoran Djindjić hoffte mit diesem Zug die Sympathien der Monarchisten gewinnen zu können. Ebenso wie er mit der überhasteten Einführung des Religionsunterrichtes die Gläubigen seiner nur allzu weltlichen Person gegenüber milde stimmen möchte.

Denn jede Stimme zählt in der bevorstehenden politischen Abrechnung mit dem religiösen und vom Volk geliebten jugoslawischen Präsidenten Vojislav Koštunica, der mit der Unterstützung der Kirche und der Monarchisten wird rechnen können.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Dynastie Kradjordjevic verbannt und das königliche Eigentum verstaatlicht, die Kirche im kommunistischen Jugoslawien marginalisiert. Im Weißen Schloss residierte Tito und bis vor kurzem Slobodan Milošević. Allerdings sind die Eigentumsrechte des Prachtgebäudes noch nicht geregelt. Wenn Aleksandar königlich wohnen will, wird er für die Betriebskosten und die Dienerschaft selbst aufkommen müssen - solange er wartet, dass sich das eine Identität suchende Serbien per Referendum für Monarchie oder Republik, für eine Föderation mit Montenegro oder die Selbstständigkeit entscheidet. Und dabei wird er wohl auf adelige Spenden angewiesen sein.

Im Gegensatz zu Aleksandar gab sein bulgarischer Vetter zwar monarchistische Ambitionen vorerst auf, löste aber um so mehr Wirbel aus, als er in Bulgarien an die Macht kam. Es ist kaum bekannt, dass Nikola I., der König von Montenegro, der Urgroßvater des ehemaligen bulgarischen Zaren Simeon II. aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha und der Ururgroßvater Aleksandars von Serbien ist. Aleksandar Karadjordjevic und seine Anhänger hoffen nun, dass die adelige Verwandtschaft dem entmachteten und verarmten serbischen Prinzen unter die Arme greift.

Wie immer das Staatssystem geheißen hat, die Serben hatten stets einen Herrscher, den sie vergötterten und dessen Macht unantastbar war. Tito war der letzte wirkliche Monarch Europas. Danach kam Milošević, der provinzielle Absolutist, der vergeblich versuchte in die Fußstapfen Titos zu treten.

Auf die im Volk verbreitete Gewohnheit zur Vergötzung kann der ehrlich gläubige, konservative, moderate Nationalist Koštunica rechnen, der das ideologische Vakuum mit Religion füllen möchte. Djindjić hingegen versucht, Schluss mit der Vergangenheit zu machen, Serbien von jeglicher Ideologie zu befreien und den Staat auf der Grundlage parlamentarischer Demokratie und freier Marktwirtschaft aufzubauen.

Es nützte nichts, dass das Unterrichtsministerium protestierte und einige Leute zurücktraten: ab 1. Oktober werden die Kinder in Serbien Religionsunterricht haben. Zwar gibt es weder passende Schulbücher noch genügend Religionslehrer. Doch die Popen sind bereit, mit der Bibel in der Hand auszuhelfen.

Auf den ersten Blick mag das alles nicht so ernst erscheinen, doch mit der Rückkehr des Prinzen und des Religionsunterrichts in die Schulen und einem Koštunica an der Spitze könnte sich Serbien wieder mittelalterlichen Werten statt der Zukunft zuwenden. Hinzu kommt die allgemeine Armut, für die das Volk Djindjić und seine Reformen verantwortlich macht.

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