Gegen die Mängel der Großstadtmenschen

Die Umwelt in der Stadt ist normiert, der öffentliche Raum wird überwacht, und Künstler sind dagegen. Zum Aufstand der sanften Art ruft die „Areale Neukölln“ auf, eine Ausstellung internationaler Künstler, die den harten Gegensätzen ihres Bezirks die Akzeptanz des Ungewöhnlichen entgegensetzen

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Kartoffelsalat darf nicht fehlen, wenn es um den Abbau von Barrieren zwischen Künstlern und Neuköllnern geht. Zum ersten Pressetermin der „Areale Neukölln“ gab es Kartoffelsalat und es kamen mehr Anwohner als Journalisten zu Helmut Dicks „Salatfeld so groß wie ein Hochhaus“ in der Gropiusstadt. Statt Unverständnis gegenüber der Kunst zu äußern, bezeugten sie Respekt vor dem Fleiß des Künstlers, den sie von ihren Fenstern aus beim Gießen seiner 10.000 Salatköpfe ab sechs Uhr morgens beobachtet haben.

„Bronzeskulpturen“, findet Helmut Dick, „fallen doch oft wie Meteore nieder im öffentlichen Raum.“ Dick, der vor der Kunst das Gärtnern gelernt hat, dachte darüber nach, wie man die Verdichtung der Bebauung in ein temporäres Bild übersetzen kann. Die Versorgung der Stadtbevölkerung setzt intensiv bewirtschaftete Flächen voraus, die für die Bewohner fast nie sichtbar werden. „Ich habe den normalen Weg um die Transportstrecke und den Supermarkt verkürzt“, sagt Dick. Jetzt laufen die Reihen der grünen Blätter in der Horizontalen auf die vertikalen Fensterbänder des vierzehngeschossigen Hochhauses zu, geschützt von einem Zaun. Allein dieses Bild reicht, um über das Selbstverständliche plötzlich mit Staunen nachzudenken. Wer kann sich schon vorstellen, wie viel Quadratmeter Acker er im Jahr verbraucht?

Mit dem Salatfeld starten die „Areale Neukölln“, die bis November siebzehn vorübergehende Kunstprojekte aufführen. Dorothea Kolland, Leiterin des Kulturamtes, freut sich über das Interesse der Künstler an ihrem Bezirk, dessen „Härte, Gegensätzlichkeit, Armut und Heterogenität“ jetzt als „Authentizität und Akzeptanz von Ungewöhnlichem“ gesehen werden. Für die Realisierung der „Areale“ musste die Unterstützung von Ämtern, Polizei, Wohnungsbaugesellschaften, Mietern, Kneipenbesitzern, Park- und Sportplatzbetreibern eingeholt werden und das allein schon bedeutet, ein Netz ungewohnter Kontakte zu bilden. Dahinter geklemmt hat sich die Kuratorin Birgit Anna Schumacher, die auch eine Finanzierung durch den Hauptstadtkulturfond, die Deutsche Klassenlotterie und weitere Sponsoren zusammenbekommen hat.

Die erste Idee kam von Christian Hasucha. „Allein schon die günstigen Mieten empfehlen den Bezirk für Künstler“, meint er. Außerdem kann Berlin ein Gegengewicht zum Kunst- und Party-Schwerpunkt in Mitte dringend vertragen. Hasucha bearbeitet seit zwanzig Jahren den öffentlichen Raum. Er hat in London Pfützen den Umriss von Krokodilen gegeben, in Köln Lichtduschen unter der dunklen Domplatte angebracht. Manchmal setzt er Marktschreier ein, meist aber sorgt er mit minimalen Verschiebungen des Alltäglichen für einen veränderten Blick. Zu seinen letzten Projekten gehörte „Günters Fenster“: Für vierzehn Tage brachte er einen Rentner, der in Neukölln nur die Aussicht auf einen Hinterhof hatte, mit seinem Fenster, Kissen und Möbeln in einen Container über einer belebten Straße in Mühlheim/Ruhr unter. Für die „Areale Neukölln“ plant er eine ähnliche Implantation einer gläsernen Kabine in der Kindl-Klause am Herrenhuther Weg.

Wenn Stadtviertel aufgewertet und alte Häuser saniert werden, dann – hat die Bildhauerin Felicitas Franck beobachtet – fallen alte Leute fast immer aus dem Kontext. In einem Laden an der einst gutbürgerlichen Schillerpromenade bietet sie deshalb an, ältere Bewohner in einer Büste zu porträtieren. „Die kann dann mit nach Hause genommen und auf den Fernseher gestellt werden.“ Franck sieht das auch als korrigierenden Eingriff in die Kunstgeschichte, die bisher nur Büsten von Honoratioren kennt.

Ein Katalog über die Ideen für die „Areale Neukölln“ ist mit reisenden Künstlern bis nach Kiew gelangt. Er soll dort für große Heiterkeit gesorgt haben. Besonders der Umgang mit den sozialen Problemen des Bezirks, in dem das größte Sozialamt Deutschlands steht, gefiel. Chantal Labinski widmet sich Mangelerscheinungen des Großstadtmenschen wie Naturentfremdung und Reisewahn und bietet im Britzer Garten drei Tage lang Hängematten und Liegestühle in einer akustischen Kulisse der Schwarzmeerbrandung an. Matthias Schamp hätte gern in einer „Geste der Behutsamkeit und Zuwendung“ die Fassade des Arbeitsamtes Neukölln gesalbt mit kreislaufstärkenden Kräutern und lindernden Substanzen gegen Überanstrengung und Unruhezustände. Die Idee kann nicht realisiert werden. Geblieben ist aber der Plan der Gruppe „Weisse Umwelt“, die Künstlerhonorar und Materialetat (5.000 Mark) in fünf Tagen komplett in Neukölln ausgeben wollen.

Der Konsument ist vielen Anliegern des öffentlichen Raums der liebste Nutzer. Der Überwachung von Plätzen durch Videokameras und Sicherheitsfirmen folgt oft die Aufteilung der Raumnutzung. Diese schleichende Reglementierung greift Peter Arlt mit einer mobilen Radaranlage auf, die auf das Tempo der Fußgänger reagiert. Ab Mitte August im Einsatz, blitzt sie Stehenbleiber und sendet Ermahnungen aus. Dabei sind die „Areale Neukölln“ eher für den gelassenen Fußgänger gemacht als für den eventhungrigen Kunsttouristen. Sie bleiben so unspektakulär wie eine Imbissbude am Straßenrand.

„Areale Neukölln“: Helmut Dick, „Salatfeld“, Severingstr. 1, bis Mitte August. Chantal Labinski, „Schwarzmeerbrandung zu Gast im Britzer Garten“, 17.–19. August. Peter Arlt, „Im Brennpunkt“, 16.–21. August. Weitere Termine unter www.areale-neukoelln.de