: Sparkassenmund zur Primetime
Aus der Reihe „unerklärliche öffentlich-rechtliche Phänomene“: Die neue „Ulla Kock am Brink Show“, mit der Ulla Kock am Brink zurück ins Private möchte und gleichzeitig zur „klassischen Abendshow“. Eine Herausforderung. Aber eine muss es machen
von BIRGIT GLOMBITZA
In der Ideenküche der öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme brodelt und schwefelt es wie im Muppetlabor, in dem die Zukunft schon heute gemacht wird.
Keine Trittbrettfahrerei mehr. Hier werden neue Formate ab sofort selbst gebastelt. Und weil das mit dem Trend immer so eine Sache ist, nimmt man einfach das, was schon mal da war. Irgendwann kommt schließlich alles wieder in Mode. Beim nächsten Trend soll, ja muss, die ARD dabei sein. Diesmal ballt sie die Fäustchen, schließt die Augen und hofft, die nächste Formatwelle selbst loszutreten.
Die Hoffnung für die Prime Time (samstags, 20.15 Uhr) hat einen Namen: Ulla Kock am Brink. Die Mission auch: „Ich setz auf dich.“ Trotz aller Kumpanei und Emphase im Arbeitstitel, irgendwie müffelt das nach Verzweiflung. „Wir wollen zurück zur klassischen Abendshow“, sagte Tony Tintes, Kreativdirektor der Sendung, zur Bild am Sonntag. „Bei uns spielen Freunde miteinander und gegeneinander.“
Zurück ins Private, zurück zu einer fröhlichen Spielerunde. Käse-Igel statt Millionenregen, Traumhäuser und TV-Hochzeiten. Prominente will man auch einladen. Und „überraschen“. Wie artig, sittsam und bescheiden. Ein Mormonentreffen muss dagegen orgiastisch aussehen. Insgesamt klingt das ein bisschen nach einer „Wir hatten nicht mal Strumpfhosen und sind bei Schnee und Eis fünf Stunden jeden Tag zur Schule geradelt und freuten uns noch scheckig über ein Butterbrot, Game-Shows, das gabs ja noch gar nicht, aber wir hatten auch unseren Spaß“-Sendung. Alles an „Ich setz auf dich“ sieht aus wie eine, nun ja, Herausforderung. Eine, die der Sender offensichtlich nur Ulla Kock am Brink zutraut. Überhaupt ist Kock am Brink momentan die einzige Moderatorin, die von Pro 7 bis ZDF alle für fähig halten, eine abendfüllende Sendung zu bestreiten. Dass sie nicht nur mit „Ca$h“ oder der „Ulla Kock am Brink Show“ auf der Nase landete, scheint ihr niemand nachzutragen. Auch diese unrühmlichen Beliebtheits-TÜVs interessieren keinen. Denn unlängst belegte Kock am Brink laut einer TV-Today-Umfrage vor Oliver Geissen und nach Jörg Pilawa einen wenig eindrucksvollen 12. Platz.
Doch die aus der Sofaecke geworfenen Erdnüsse zielen noch tiefer. 80 Prozent der Männer können Ulla Kock am Brink angeblich nicht sehen. Männliche Augenschmerzen, „und zwar in allen Altersgruppen“, wie das TV-Magazin mit Genuss notiert.
Aber was sind schon Männer gegen wahre Gladiatoren und deren Freunde, die sich damals in der „100.000 Mark Show“ unter Ullas knappem „Los“-Befehl abrackerten. Bei Ulla wurde aus „Spiel“ „Kampf“, und aus halbwegs intakten Paarbeziehungen eine Ansammlung von Hassfratzen. Vielleicht war ja auch Johann kein richtiger Mann, als er in „Verzeih mir“ (RTL) vor vier Millionen Zuschauern seine Persönlichkeitsveränderung vor der Kamera erledigte.
Seine Probleme mit Familie und Schnaps nahm Ulla nicht einfach hin: „Das find ich wirklich wichtig, dass man so etwas auch emotional bewältigt.“ Gingen ihrem Patienten die Worte aus, half sie mit einem „Und dann ist das Vertrauen auch irgendwo weg“ auf die Sprünge. Später verteilte sie ihre knappen Aufmerksamkeiten wieder mit Sparkassenmund. Wir erinnern uns an Dialoge wie „Freuen Sie sich?“– Nicken – „Super!“ in der „Lotto-Show“ (ARD). Oder: „Freust du dich?“ – Nicken – „Toll!“ bei „Ca$h“ (ZDF).
Als „präzise“, „kalt“, „emotionslos“ wurde sie von der Kritik abgewatscht. Attribute, mit denen sie eine prima Gefäßchirurgin geworden wäre. Doch Kock am Brink, die vor zwölf Jahren ihre Fernsehlaufbahn als Wetterfee startete, dachte nicht an Umschulung. Sie kam und blieb.
Wenigstens die Engagements scheinen ihr recht zu geben. Und sollte es auch nur darum gehen, eine Sendung so altmodisch wie „Ich setz auf dich“ nach ein paar Durchläufen aufrecht stehend bis zum Quotentod zu moderieren. Sterbebegleitung ist schließlich auf die Dauer auch kein Job für Geschöpfe, die immer mitjubeln, -brüllen oder –schluchzen. Und was bei Günther Jauch als Pokerface gepriesen und geküsst wird, reicht bei präzisen Frauen in der Glotze bestenfalls, um als ebenso russische wie lesbische Forscherin im „Raumschiff Orion“ anzuheuern und sich für jede noch so brillante Analyse außerirdischer Substanzen von Dietmar Schönherr ein „Seien Sie doch nicht so anthropozentrisch“ einzufangen.
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