: Brutale Chaoten
Afghanistan liegt wirtschaftlich und gesellschaftlich am Boden
BERLIN taz ■ Es ist eines der isoliertesten und ärmsten Länder der Welt. Seit die Taliban 1996 die Regierung von Burhanuddin Rabbani absetzen, ist Afghanistan praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. In der Hauptstadt Kabul findet sich keine ausländische Botschaft, zuständig für das Land sind meist Vertretungen in Pakistan. Nur Saudi-Arabien, Pakistan und die Vereinigten Arabischen Emirate erkennen die Taliban-Regierung an. Die UNO unterhält ein Büro für humanitäre Angelegenheiten. Zugleich belegte der UN-Sicherheitsrat 1999 das Land mit einem Wirtschafts- und Waffenembargo.
Mindestens zwei Drittel des Landes kontrollieren inzwischen die militanten „Koranschüler“. Nur im Norden halten sich noch einige Warlords auf, die so genannte Vereinigte Islamische Front zur Rettung Afghanistans. Militärisch ausgebildet wurden die Taliban im benachbarten Pakistan. Immer wieder tauchen Gerüchte auf, der US-Geheimdienst CIA habe dafür zumindest Geld gegeben: Die US-Amerikaner hätten gehofft, die Gotteskrieger würden das Land mit eiserner Faust befrieden und es so ermöglichen, eine Pipeline für Öl und Gas aus Zentralasien zu bauen. Damit hätten die USA verhindern wollen, dass eine Pipeline durch den Iran führt, heißt es.
Stimmt diese Version, dann ist die Taktik gründlich schief gegangen. Das Land liegt wirtschaftlich am Boden, die Taliban finanzieren sich durch die Produktion von Opium und Heroin und beherbergen auch noch den saudischen Terroristensponsor Ussama Bin Laden.
Politisch zeichnen sich die Taliban durch brutales Chaotentum aus. Rechtsgrundlage ist offiziell die Scharia, das islamische Recht. In der Realität wird es jedoch durch willkürliche Schikanen ergänzt. Frauen dürfen außer im Bereich des Gesundheitssektors nicht arbeiten und müssen einen Schleier tragen. Männer werden genötigt, sich einen Bart stehen zu lassen und die Haare zu scheren. Auf diverse „Delikte“ steht die Todesstrafe. So wurden erst gestern vier Männer öffentlich gehängt. Der Vorwurf gegen sie lautete „Terrorismus“.
Vieles, was die Taliban propagieren, hat mit Islam nichts zu tun, sondern entspricht konservativ-patriarchalischen paschtunischen Traditionen. Tatsächlich gehört die überwiegende Mehrheit der Gotteskrieger zur alten Herrscherkaste, die aber nur 38 Prozent der Bevölkerung ausmacht. So ist die Burka, der berüchtigte Ganzkörperschleier für Frauen, paschtunischen Ursprungs. THOMAS DREGER
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