: Taubengrau, rot und grün
Muntere Agentenkomödie und ambivalentes Soziopathen-Porträt: Jingle Mas „Tokyo Raider“ und Andrew Dominiks „Chopper“ beim Fantasy Filmfest im Cinemaxx ■ Von Holger Römers
Die falsche Identität könnte kaum treffender gewählt sein: Als Innendekorateur gibt sich einer der Akteure in Tokyo Raiders aus, bevor er sich auf die Fersen einer jungen Frau heftet, die in der japanischen Hauptstadt ihren spurlos verschwundenen Verlobten sucht. Und Dekor ist in Jingle Mas Agentenkomödie tatsächlich alles. Verzückt schwelgt die Kamera in modernis-tischen Interieurs, deren kahle Betonwände vom spärlichen Mobiliar aus Stahl dominiert werden. Auf dessen mattpoliertem Glanz sind wiederum die taubengrauen Anzüge, die Hauptdarsteller Tony Leung Chiu-Wai trägt, sorgfältig abgestimmt.
Ähnlich großer Wert wurde allenfalls noch darauf gelegt, dass die vielen munteren Actionsequenzen taktgenau im Rhythmus synthetischer Latinoklänge montiert sind. Wie man dies von Jackie Chan kennt, werden unterschiedliche Möbelstücke bis hin zu einem Staubsauger zu Schlaginstrumenten umfunktioniert. Doch während in Chans Filmen Inszenierung und Montage darauf angelegt sind, durch die Auswahl der Einstellungen die akrobatischen Leistungen der Darsteller zu beweisen, bekommen wir in den Kampfszenen von Tokyo Raiders lediglich flott geschnittene Aneinanderreihungen unzusammenhängender Einstellungen – oft in Großaufnahmen, wahlweise in Zeitlupe – geboten.
Auf die Dauer ist das denn doch ziemlich ermüdend, zumal der dünne Spionage-Plot wirklich nicht der Rede wert ist. Durchaus Erwähnung verdient allerdings, dass wie schon in Gordon Chans 2000 A.D. erneut CIA-Agenten die Schurken des Stückes abgeben – in diesem Fall haben sie sich dazu verschworen, den japanischen Finanzmarkt durch Falschgeld zu destabilisieren. Mit diesem Feindbild repräsentiert Tokyo Raiders immerhin eine bemerkenswerte neue Tendenz des Hongkongfilms nach dem Ende der britischen Verwaltungshoheit.
Von Jingle Mas fröhlichem Popcornkino könnte das Debüt des Australiers Andrew Dominik kaum weiter entfernt sein. Ein Schwerverbrecher, der als Buchautor und Talkshowgast „down under“ Berühmtheit erlangt hat, gab für die Titelfigur von Chopper das Vorbild ab. Wie naiv dieser Mark „Chopper“ Read jedes Medieninteresse als Form der Anerkennung deutet, reflektiert der Film in einer Rahmenhandlung, in der sich der Protagonist im Scheinwerferglanz eines TV-Teams sorgt. Daraus ergibt sich zugleich das grundsätzliche Paradoxon dieses vielschichtigen Films: dass Dominik damit unweigerlich die zweifelhafte Berühmtheit seiner Titelfigur vergrößert.
So bleibt die Haltung des Films gegenüber diesem paranoiden Soziopathen in einem prinzipiellen Zwiespalt befangen. Einerseits gesteht Dominik seiner Hauptfigur jene Faszinationskraft zu, die wohl überhaupt erst den Anstoß zu dem Filmprojekt gab. Von dem ehemaligen Stand Up-Comedian Eric Bana brillant gespielt, verströmt der mit Tattoos, Brandings und metallenen Schneidezähnen verzierte Protagonist alleine schon wegen seiner massiven körperlichen Präsenz ein erhebliches Charisma. Andererseits schafft eine verfremdende Inszenierung – vor allem eine ebenso schlichte wie effektive Farbdramaturgie – Distanz zum Leinwandgeschehen. Die erste, im Gefängnis spielende, Filmhälfte ist in fahles Blau getaucht, wenn Read Jahre später vorübergehend auf freiem Fuß ist, dominieren aggressive Grün- und Rottöne.
Ausgerechnet der Aspekt, der das größte Befremden auslöst, verbreitet jedoch auch die stärkste Faszination: nämlich der Umgang der Figuren mit erlebter Gewalt. Selbst Mordversuche müssen in Chopper nicht unweigerlich das Ende einer Freundschaft bedeuten. So beginnt Chopper, als ein befreundeter Zellengenosse im Gefängnis mehrfach mit einem Messer auf ihn einsticht, den Angreifer wie in einem traumwandlerischen Tanz kräftig zu umarmen. Und ist der Anschlag auf das eigene Leben erst einmal überstanden, wird der Angreifer später wie selbstverständlich als alter Bekannter begrüßt.
Tokyo Raiders: heute, 18.30 Uhr; Chopper: heute, 23 Uhr, beide Cinemaxx
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