Lauwarme Eisen im Feuer

Die deutschen Leichtathleten festigen nach der Weltmeisterschaft in Edmonton ihren Platz im Mittelfeld. Die jungen Wilden tobten sich noch nicht in den Finalkämpfen aus. Eine Bilanz

aus Edmonton FRANK KETTERER

Neun Tage sind vorbei und somit ist die Zeit gekommen, Bilanz zu ziehen über diese Weltmeisterschaft. Und weil auch in der Leichtathletik nach den Spielen immer vor den Spielen ist, hat sich der Autor an das Interview erinnert, das er vor der WM mit Clemens Prokop, dem Präsidenten des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV), geführt hat – und sich an Prokops Kernsätze erinnert.

„Man muss sehen, dass wir auch bei dieser WM unsere Erwartungen nicht zu hoch schrauben dürfen.“

Stimmt, Herr Präsident. Hat der DLV auch nicht getan, sondern das Ergebnis der Olympischen Spiele von Sydney zum Maßstab auserkoren. Vor knapp einem Jahr in Australien gewannen deutsche Leichtathleten insgesamt fünf Medaillen (zwei Goldplaketten, eine Silber, zwei Bronze), hier in Edmonton waren es schon vor dem Schlusstag sechs (zwei Gold, drei Silber, eine Bronze). So gesehen und unter Berücksichtigung, dass die Deutschen am abschließenden Sonntag (Wettkämpfe bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) nochmals zwei heiße Eisen im Feuer hatten (Speerwurf der Männer sowie die 4x400-Meter-Staffel der Frauen), wurde das Ergebnis von Olympia klar übertroffen. Andererseits muss natürlich erwähnt werden, dass Sydney ein ziemlicher Tiefpunkt war für den DLV. So wenige Medaillen wie Down under hatte es nämlich schon ewig nicht mehr gegeben, genauer gesagt: seit der Wiedervereinigung, als die westdeutsche Leichtathletik sich das Knowhow der Medaillenfabrik DDR einverleibte. So gewann der gesamtdeutsche Verband noch vor zwei Jahren in Sevilla zwölf Medaillen, von jeder Farbe vier. Davon war man in Edmonton weit entfernt.

„Das Zählen von Medaillen ist ohnehin nicht repräsentativ für die Leistungsfähigkeit einer Sportart.“

Das mag so sein. Und dennoch macht die Medaillenhuberei Spaß. Deshalb hier noch einmal die deutschen Medaillengewinner: Gold gewannen Martin Buß im Hochsprung sowie Lars Riedel mit dem Diskus, Bronze ging mit Michael Möllenbeck ebenfalls an einen Diskuswerfer. Bleibt also noch dreimal Silber, das sich jeweils überraschend der 400-Meter-Läufer Ingo Schultz, die 4x100-m-Staffel der Frauen in der Besetzung Birgit und Gabi Rockmeier, Melanie Paschke und Marion Wagner sowie Nadine Kleinert-Schmitt im Kugelstoßen holten.

„Es wäre viel realistischer, wenn man die Anzahl der Endkampf- und Endlaufplatzierungen zählen würde.“

Lieber nicht, Herr Präsident. Denn diese Bilanz fällt für den DLV nicht gut aus. Deutsche Leichtathleten waren in Edmonton nämlich lediglich in 19 Endkämpfen (Platz eins bis acht) vertreten, selbst in Sydney waren es genau zehn (!) mehr. Vor zwei Jahren, bei der Weltmeisterschaft in Sevilla, standen gar noch 33 Endkampf-Teilnahmen zu Buche. Auf der anderen Seite schieden diesmal extrem viele DLV-Athleten bereits in der ersten Runde oder in den Vorkämpfen aus. 21-mal war dies der Fall, was einem Durchschnitt von knapp 30 Prozent entspricht. Bei den Großereignissen davor lag man jeweils noch bei rund 25 Prozent.

„Ich denke, dass eine Reihe junger deutscher Athleten realistische Medaillenchancen hat.“

Das war von Anfang an eine ziemlich kühne Prognose, Herr Präsident, jedenfalls wurden die Chancen, wenn überhaupt existent, kaum genutzt. Dann ist es nur 400-Meter-Läufer Ingo Schultz (26) mit seinem zweiten Platz gelungen, für Furore zu sorgen. Hingegen mussten im Vorfeld hoch Gehandelte wie 800-Meter-Olympiasieger Nils Schumann (23) und Stabhochspringer Danny Ecker (24) schmerzhafte Rückschläge verkraften. Auch die so genannten jungen Wilden im DLV hielten sich eher vornehm zurück: Für Sprinttalent Tim Göbel (21) war mit bescheidenen 10,33 Sekunden im 100-m-Zwischenlauf das Ende gekommen, Jungsprinterin Sina Schielke (20) konnte verletzungsbedingt erst gar nicht starten, Stabhochspringerin Annika Becker (19) blieb an 4,25 m hängen und somit gleich 30 Zentimeter unter ihrem noch im Juli aufgestellten deutschen Rekord. Wild zeigten sich die jungen Wilden hier in Edmonton kaum.

„Es ist richtig, dass wir in einigen Disziplinen einen Leistungseinbruch registrieren mussten.“

Vor der WM ist manchmal nach der WM. Die Leistungseinbrüche von Sydney setzten sich in Edmonton nahtlos fort. Betroffen davon sind die Laufstrecken bei den Männern: Mit Ausnahme der 400- und 800-Meter-Rennen fanden die Finalläufe ohne DLV-Beteiligung statt, auf den Strecken von 5.000 m bis zum Marathon stellte der DLV bei den Herren der Schöpfung erst gar keinen WM-Starter. Ein Trend, der in Edmonton auch auf die Technikdisziplinen übergriff. Zum Beispiel der Hammerwurf – kein Deutscher im Endkampf. Auch beim Kugelstoßen – kein Deutscher im Endkampf; Weitsprung – dito; Dreisprung – man ahnt es. Diese Tendenz hat offenbar auch die Frauen angesteckt. Weit- und Dreisprung sowie der Hammerwurf blieben ohne deutsche Finalteilahme, am Hochsprung nahm gar keine DLV-Athletin teil.

„Wir müssen Heroen schaffen.“

Cooler Spruch, Herr Präsident. Zum Held taugte hier in Edmonton nur einer: 400-m-Silbermedaillengewinner Ingo Schultz. Ein zweiter Aspirant hat sich seine Chancen hingegen gnadenlos vermasselt: Diskuswerfer Lars Riedel wurde zwar zum fünften Mal Weltmeister, sein Streit mit Mannschaftskollege Möllenbeck aber war mehr als unerträglich. So dumm sind Heroen nicht.

„Doping im Sport ist ein grundsätzliches Problem.“

Da kann Ihnen nun wirklich niemand widersprechen, Herr Prokop. Und weil Leichtathletik Sport ist, ist Doping auch hier ein grundsätzliches Problem. Das hat die WM ausreichend gezeigt, nicht nur durch den Fall der Russin Olga Jegorowa: Am Samstag wurden mit der Rumänin Mirela Termure und der Bulgarin Natalya Sologub auch noch zwei Nandrolon-Fälle bekannt. Und dann steht ja immer noch die Bekanntgabe des Athleten aus, der hier mit Epo in der Blutbahn angetroffen wurde.

„Es gibt in Deutschland keinen anderen Sportverband, der so streng kontrolliert wie der DLV.“

Um Gottes Willen, Herr Präsident, das wollen wir nun wirklich nicht hoffen. Sonst wäre der deutsche Sport nämlich ganz schnell am Ende. Die Panne, die dem DLV im Fall Schultz unterlaufen ist, ist mit peinlich noch harmlos umschrieben. Für Platz zwei steht dem 400-m-Läufer eigentlich eine 30.000-Dollar-Prämie zu, allerdings nur, wenn er im Training mindestens zweimal pro Jahr getestet wurde. Schultz wurde nicht, weil lediglich Mitglied des B-Kaders, wo Tests aus Kostengründen seltener stattfinden, auch im DLV. Mittlerweile hat man wenigstens ein Schlupfloch gefunden, durch das Schultz doch noch zu seiner WM-Prämie kommt: Die Regelung mit den zwei Trainingskontrollen gelte lediglich für die besten 20 der Weltrangliste. Dazu gehörte Schultz bis vor der WM nicht. Glück für Schultz, peinlich trotzdem für den DLV.