: Fidels letzter Wille
Der Máximo Líder wird heute 75 Jahre alt – und erreicht damit die durchschnittliche Lebenserwartung eines Kubaners. Spekulationen über seine Nachfolge sind angebracht
Man hat sich so sehr an ihn gewöhnt, dass sich Kuba ohne ihn kaum vorstellen lässt. Doch es gibt Zeichen dafür, dass auch Fidel Castro sterblich ist. Am 23. Juni um 11:22 Uhr wurde der Staats- und Parteichef zum ersten Mal öffentlich schwach. Vor 70.000 Anhängern in dem Ort Cotorro am Rand von Havanna und direkt übertragen im kubanischen Fernsehen stockte plötzlich sein Redefluss. Der Alte schwankte und musste vom Podium geführt werden. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag – anscheinend wieder bei bester Gesundheit. 75 Jahre, das ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Kubaner. Was wird aus Kuba, wenn er stirbt?
Die Exilkubaner in Miami glauben noch immer, dass dann der Karibik-Sozialismus implodieren wird. Die Bilder nach dem Schwächeanfall in Cotorro scheinen sie zu bestätigen. Zehn Minuten lang wusste man nicht, was mit Castro geschehen war. Zehn Minuten war Kuba im Schockzustand. Fassungslose Menschen hielten sich in den Armen. Der Fernsehmoderator schwieg. Für zehn Minuten war das Land führungs- und orientierungslos.
Einzig Fidel scheint sich nicht wegen seines Todes zu sorgen. Alles werde beim Alten bleiben, die Nachfolge sei geregelt. Sein fünf Jahre jüngerer Bruder Raúl soll es werden. „Er hat die Autorität, die Erfahrung und den revolutionären Geist.“ Und „er ist bei bester Gesundheit“. Seit Jahren ist er Erster Vizepräsident, Verteidigungsminister und stellvertretender Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Vor ihm steht nur noch Fidel. Schon beim Parteitag von 1997 wurde er zum Nachfolger designiert.
Als wolle er beweisen, dass er dafür fit genug ist, erstieg Raúl Castro an seinem 70. Geburtstag den Turquino, den mit 1.974 Metern höchsten Berg der Insel, laut Fidel „für sein Alter in einer Rekordzeit“. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der kleine Bruder nur eine geriatrische Übergangslösung sein kann. Schon allein aus biologischen Gründen wird er nicht lange regieren. Aus politischen Gründen ist das auch gar nicht angebracht. Denn Raúl Castro fehlt das Entscheidende: Er hat kein Charisma.
Von Fidel sagt man, er müsse einem nur die Hand auf die Schulter legen: Spätestens nach zehn Minuten würde man ihm alles glauben. Die allermeisten Kubaner vertrauten ihm und tun es noch immer. Am Anfang der Revolution sowieso. Aber auch in der schweren Krise nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, als selbst das Brot knapp wurde, glaubten sie, dass die damals ausgerufene „Spezialperiode“ irgendwann wieder enden würde.
Raúl aber ist ein steifer Berufssoldat. Einer, der niemandem die Hand auf die Schulter legt, der kein Vertrauen einflößt. Eher Angst. Die Kubaner respektieren ihn, aber sie mögen ihn nicht. Nicht nur weil er nicht so schön reden kann wie sein großer Bruder. Sie wissen auch, dass er nicht so pragmatisch ist, nicht so flexibel und – nicht so menschlich. Raúl war schon in seiner Jugend überzeugter Kommunist und ist bis heute der strenge Wächter der Linientreue. Fidels letzter Wille – ein Missgriff aus familiärer Eitelkeit?
Fast sieht es so aus, als ob die Kubaner das so sehen und ignorieren wollten. Denn obwohl die Nachfolgefrage vom Chef persönlich entschieden wurde, wird munter über drei weitere Kandidaten diskutiert: Ricardo Alarcón, Carlos Lage und Felipe Pérez Roque.
Der Älteste ist mit 64 Jahren Ricardo Alarcón. Er ist Präsident der Volkskammer und Fidels diplomatische Geheimwaffe in der schwierigen Beziehung mit den USA. Dazu braucht es Flexibilität, Überzeugungskraft, Beharrlichkeit und Geduld. Alles Eigenschaften, die auch Fidel auszeichnen. Und Alarcón kann reden. Nicht ganz so brillant wie Fidel. Aber er kommt ihm nahe. Gäbe es Meinungsumfragen in Kuba, wäre er der Favorit. Gefolgt von Carlos Lage, dem 49-jährigen Vizepräsidenten.
Lage steht zwar nicht so in der Öffentlichkeit wie Alarcón. Aber jeder Kubaner weiß, dass er der Architekt der Wirtschaftsreformen ist. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks setzte er auf den Tourismus. Er legalisierte den Dollar und senkte damit dessen Preis von über 200 auf 20 kubanische Pesos. Er führte vorsichtige marktwirtschaftliche Elemente ein. Flexibel, umgänglich und diplomatisch gewandt machte Lage selbst vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos eine gute Figur.
Kaum ein Kubaner traut dies Felipe Pérez Roque zu. Der 36-Jährige ist eher der Wadenbeißer Fidels. Sieben Jahre lang war er Privatsekretär des Máximo Líder. Vor zwei Jahren wurde er überraschend Außenminister. Damals war dies ein Warnsignal an die allzu Flexiblen, zu denen auch Roberto Robaina, der Amtsvorgänger von Pérez Roque, gehörte. Nie wurden gegen ihn öffentlich Korruptionsvorwürfe erhoben. Aber es heißt, er sei im steten Umgang mit der kapitalistischen Welt auch deren Versuchungen erlegen. Statt des Lebemanns kam ein Linientreuer. Selbst Mitglieder der Kommunistischen Partei misstrauen Pérez Roque: Er sei ein „Taliban der kubanischen Revolution“.
Doch er besitzt die Nähe zu Fidel, und das hat Gewicht. Am 23. Juni in Cotorro, als nach Fidels Schwächeanfall niemand wusste, ob der Alte noch lebt, sprach sich Pérez Roque nur kurz mit Lage ab. Dann ergriff er das Mikrofon und versuchte, die Menge zu beruhigen. Seine kurze Rede schloss er mit den Worten: „Viva Raúl! Viva Fidel!“ Das klingt schon fast wie: „Der König ist tot! Es lebe der König!“
Es wird also kommen, wie Fidel es wünscht: Der kleine Bruder wird Nachfolger. Das hat in der Logik der Macht auch seinen Sinn. Niemand weiß, wie die Inselkubaner auf den Tod ihrer Vaterfigur reagieren. Man weiß nur, dass die Exilkubaner in Miami die Sektkorken knallen lassen werden. Aber was werden sie dann tun? Und was wird die Regierung in Washington unternehmen? Auf jeden Fall werden alle Feinde Fidels glauben, dass Kuba ohne ihn leichter zu handhaben ist. Eben deshalb wird nach Fidel die Zeit der Kommissköpfe und Wadenbeißer anbrechen. Erst einmal muss die Revolution gesichert werden. Nach innen und nach außen.
Doch lange darf dies nicht dauern. Sonst wird der karibische Sozialismus erstickt. Kuba war trotz Staatssicherheit und Revolutionskomitees in jedem Häuserblock nie so grau wie die DDR oder die Sowjetunion, wie Raúl Castro oder Felipe Pérez Roque. Kuba ist nicht nur bürokratisch, sondern gleichzeitig spontan und lebenslustig. Selbst Fidel lacht, je älter er wird, desto öfter. Wenn sein Lebenswerk weitergeführt werden soll, braucht er einen Nachfolger wie Ricardo Alarcón oder Carlos Lage und am besten gleich beide auf einmal. Der Sozialismus auf der Insel kann nur mit diplomatischer Geschmeidigkeit nach außen und einer undogmatischen Wirtschaftspolitik nach innen überleben. TONI KEPPELER
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