: „Willkommen bei Wal-Mart“
Der Einzelhandelsriese macht nicht nur durch Erfolge, sondern auch durch schlechte Behandlung seiner Angestellten von sich reden. Viele Klagen
aus New York NICOLA LIEBERT
Wal-Mart stellt immer wieder Rekorde auf. So ist die Warenhauskette inzwischen mit Abstand die größte der Welt. Nur der Staat hat in den USA mehr Angestellte als Wal-Mart. Weltweit hat die Firma in über 4.000 Märkten 1,24 Millionen, in Deutschland immerhin 17.400 Mitarbeiter. Doch ein weiterer Rekord betrifft die Zahl der Gerichtsverfahren, die Angestellte gegen den Konzern einleiten.
Gerade hat in New York die Verkäuferin Maria Gamble im Namen von 20.000 jetzigen und früheren Wal-Mart-Angestellten ihren ehemaligen Arbeitgeber verklagt. Die Verkäufer seien gezwungen worden, ohne Bezahlung oder Freizeitausgleich jeden Abend nach Ladenschluss noch bis zu anderthalb Stunden Regale wieder aufzufüllen und das Geld in der Kasse zu zählen. Wer sich geweigert habe, sei mit Entlassung oder Herabstufung bedroht worden. Gamble arbeitete für einen Stundenlohn von 8,25 Dollar. „Unsere Firmenpolitik ist, alle Arbeit fair zu entlohnen und die Arbeitsgesetze einzuhalten“, sagte Unternehmenssprecher Bill Wertz. Doch in Colorado war Wal-Mart auf eine ähnliche Klage hin, die allerdings weniger Angestellte betraf, bereits zur Zahlung von 50 Millionen Dollar verurteilt worden.
Kürzlich erst wurde Wal-Mart auch wegen der Diskriminierung Behinderter verurteilt, mehrere Rassismusklagen sind anhängig oder zum Teil schon durch Vergleich gelöst worden. Im Juni haben sechs Frauen Wal-Mart wegen Diskriminierung verklagt. Auch sie wollen für ihre Klage Gruppenstatus erreichen. Damit wäre dies die größte Diskriminierungsklagen aller Zeiten in den USA, die eine halbe Million Frauen einbeziehen würde.
Die Gewinne des Konzerns – schätzungsweise sieben Milliarden Dollar in diesem Jahr – würden dadurch zwar kaum angekratzt, sehr wohl aber das Image, warnen Analysten an der Wall Street. Der Aktienkurs sackte nach Bekanntgabe der neusten Klage ab.
Kim Miller, eine der Klägerinnen, berichtete nicht nur von zahlreichen Fällen sexueller Belästigung. Zudem habe sie in ihren neun Jahren bei Wal-Mart keine einzige Beförderung erhalten, obwohl sie sogar als „Verkäuferin des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Zahlreiche Männer mit weit weniger Erfahrung seien in dieser Zeit an ihr vorbei befördert worden. Als sie schwanger wurde, wurde sie als Begrüßerin eingesetzt – eine Einrichtung, mit der sich Wal-Mart von anderen Kaufhäusern unterscheiden will. Sie durfte sich während der Arbeit nicht setzen, bis sie durch ein ärztliches Attest eine Versetzung durchsetzen konnte. Frauen mit Kindern könnten sowieso keine leitenden Positionen einnehmen, bekamen andere der Klägerinnen zu hören.
Die Anwälte der Klägerinnen legten Zahlen vor, wonach bei Wal-Mart zwar 72 Prozent der Angestellten Frauen seien. Nur ein Drittel der leitenden Positionen seien jedoch mit Frauen besetzt. Bei den anderen Unternehmen der Branche liege dieser Anteil bei 56 Prozent. „Wal-Mart ist ein außerordentlich erfolgreiches und außerordentlich aggressives Unternehmen, das seine Angestellten allenfalls als Inventar sieht“, meint der auf Bürgerrechte spezialisierte Anwalt Joseph Sellers.
Die aggressive Strategie von Rob Walton, dem Sohn des Firmengründers Sam Walton, macht nicht nur Angestellte zu Opfern. Inzwischen geht die hemmungslose Expansion gelegentlich auch nach hinten los. Seit einigen Jahren kommt es immer mal wieder zu Protesten gegen geplante neue Wal-Mart-Märkte von Bürgern, die um die lokale Wirtschaft und um das Stadtbild fürchten. Die bestehenden Einzelhändler würden plattgemacht, gut bezahlte Jobs würden dadurch verschwinden und durch zum Teil miserabel bezahlte Jobs bei Wal-Mart ersetzt. „Wal-Mart schafft keine Arbeitsplätze, es vernichtet sie“, verkündet eine eigene Website der Unzufriedenen, walmartwatch.com. „Der ältere Herr, der Sie am Eingang freundlich gegrüßt, den kenne ich“, schrieb dort eine Kundin. „Ihm gehörte der Haushaltswarenladen, bis er durch Wal-Mart in die Pleite getrieben wurde. Willkommen bei Wal-Mart.“
Zu den 94 deutschen Wal-Mart-Märkten: www.walmart.de, www.labournet.de/branchen/dienstleistung/koehnen.html und .../koehnen2.html
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