„Keiner guckt mehr befremdet“

■ HÖB-Chefin fordert klare politische Aussage für neues Gebäude der Zentralbibliothek

Etliche Schließungen hat es in den vergangenen Jahren gegeben, Personal wurde massiv eingespart, Öffnungszeiten reduziert: Von Sparmaßnahmen geprägt sind seit Jahren die Hamburger Bücherhallen, die zehn Prozent ihrer Ausgaben selbst erwirtschaften müssen und deshalb zu drastischen Maßnahmen griffen: Wochenlange Sommerschließungen verordnete die Zentrale im vorigen Jahr einigen Stadtteil-Bücherhallen – ein Modell, das sich nicht bewährt hat: Monate hat es gedauert, bis man die Nutzer zurückgewonnen hatte. Dennoch – bis Ende 2001 soll der Bestand, so das Versprechen, gesichert sein; was danach kommt, weiß niemand. Oder doch? Wir sprachen mit HÖB-Chefin Hella Schwemer-Martienßen.

taz hamburg: Wie ist der finanzielle und personelle Status quo der Bücherhallen? Blicken Sie unbeschwert in die Zukunft?

Hella Schwemer-Martienßen: Wir blicken einigermaßen entspannt in die Zukunft, weil wir trotz gleichbleibender Zuwendungen ohne Schließungsbedrohung ins Jahr 2002 gehen können. Denn wir können im kommenden Jahr 800.000 Mark mehr ausgeben und damit Stellenbestand und Standorte halten. Allerdings wird es eine Neustrukturierung der Gebührenordnung geben.

In welchen Bereichen sind Gebührenerhöhungen geplant?

Schwemer-Martienßen: Es ist daran gedacht, die Erinnerungsgebühren zu erhöhen, vielleicht auch die Nutzungsgebühren und Entgelte für besondere Dienstleistungen. Bis Ende 2001 ruht das Thema aber erstmal, und für 2002 haben wir uns keine Denksperre auferlegt.

Woher kommen die zusätzlichen 800.000 Mark für 2002?

Schwemer-Martienßen: Der Betrag stammt aus Urlaubsrückstellungen – der in Geld umgerechneten Vergütung der nicht genommenen Urlaubstage. Die Stadt hat eine Garantieerklärung übernommen, sodass der Betrag jetzt zur Verfügung steht.

Und was passiert 2003, wenn auch diese Reserve aufgebraucht ist?

Schwemer-Martienßen: Es besteht ja das Versprechen, dass ab 2003 – nach Ende der Konsolidierungsphase – der Haushalt wieder die Preis- und Tarifsteigerungen aufweisen wird. Seit 1993/94 hat es keine Zuwendungssteigerungen mehr gegeben, sodass wir die fehlenden Beträge weitgehend selbst aufgebracht haben: Von 1995 bis heute haben die HÖB 110 Stellen abgebaut, das sind 20 Prozent des Personals. Und bis Ende 2001 werden weitere abgebaut, immer durch natürliche Fluktuation. Dann sind wir allerdings bei 420 Stellen angekomen, dem Minimum dessen, was wir verkraften können.

Aber in den vergangenen Jahren wurden doch massiv Bücherhallen geschlossen. Ist das eine Politik, die Sie heute noch befürworten?

Schwemer-Martienßen: Mir ist klar, dass das ein bisschen nach Darwinismus klingt, aber besser, wir haben wenige Gesunde als viele Kranke. Und es ist fraglich, ob man viele Häuser mit magerem Angebot aufrecht erhalten soll – oder ob es sich für Nutzer nicht lohnt, für ein gutes Angebot weitere Wege in Kauf zu nehmen.

Könnte bei künftigen Sparmaßnahmen auch die Nachwuchs-Nutzerförderung, die Kinderförderung also, leiden?

Schwemer-Martienßen: Da bin ich optimistisch: Wenn wir für die Internet-Offensive der HÖB eine Million an Drittmitteln lockermachen konnten, dann wird uns das auch für die Nachwuchs-Leserförderung gelingen. Wir müssen allerdings gute Konzepte bieten. Denn dass eine Erziehungsoffensive nötig ist, liegt auf der Hand. Man kann nicht immer nur über Verwahrlosung reden, man muss auch bereit sein, in den Stadtteilen präventive Arbeit zu leisten. Dafür muss aber der politische Wille da sein, denn aus eigenen Mitteln können wir das nicht finanzieren.

Weiteres anvisiertes Projekt ist ja das Internet-Portal der HÖB. Wann wird es fertig sein?

Schwemer-Martienßen: Es wird im August fertiggestellt und Anfang September offiziell eröffnet. Geplant sind drei Homepages: eine für Kinder, eine für Jugendliche und eine für Erwachsene. Außerdem wird es Themenseiten mit Informationen über laufende Projekte sowie eine kostenlose Datenbank geben.

Welches ist das wichtigste Projekt für 2002?

Schwemer-Martienßen: Das neue Haus, ganz klar. Es kann nicht angehen, dass man – es wurde schon etliche Male gesagt – nur durch den Bühneneingang des Ohnsorg-Theaters in die Zentral-bibliothek kommt. Das ist entschieden zu viel Understatement.

Welche Immobilie schwebt Ihnen denn idealerweise vor?

Schwemer-Martienßen: Am liebsten hätten wir das Gebäude von „Lust for Life“: zentral gelegen, großzügig geschnitten ... aber mal im Ernst: Das Thema ist natürlich politisch belegt. Und ich wünsche mir, dass in der nächsten Koalitionsvereinbarung steht, dass man die Realisierung des neuen Hauses konsequent verfolgen wird. Die inneren Wandlungsprozesse, die Voraussetzung für einen Umzug sind, laufen ja schon. Denn die HÖB-Zentrale soll ein Spezialitäten-Literatur- und Medienhaus werden. Das heißt, es soll eine Aufgabenteilung zwischen den Zweigstellen und der Zentrale geben, die spezielle Abteilungen bietet, die man nur dort nutzen kann, z.B. die Fotobuchsammlung. Außerdem soll die Zentralbibliothek ein Labor sein, in dem die neueste Medientechnologie ausprobiert wird.

Sehen die Politiker die Notwendigkeit eines neuen Hauses denn genauso deutlich wie Sie?

Schwemer-Martienßen: Sie sind mittlerweile sensibilisiert für das Thema. Und wenn ich sage, wir brauchen ein neues Haus, guckt keiner mehr befremdet. Das heißt, das Haus ist ein Thema. Und irgendwann muss man sich auch politisch mal entschieden: Entweder man will das Projekt – oder man will es nicht. Dann richten wir uns hier eben häuslich ein.

Interview: Petra Schellen