killer labskaus
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von JOACHIM SCHULZ

Ich möchte Sie bitten, sich nicht zu wundern, wenn Sie im folgenden Text auf Sätze stoßen sollten, die dem Finno-Ugrischen entlehnt zu sein scheinen. Ich muss, um offen zu sein, stündlich mit dem Schlimmsten rechnen. Erst neulich verlangte ich an der Käsetheke geriebenen „Marsepan“, was die Fromage-Verkäuferin vermutlich auf ihren lieblichen Augenaufschlag schob. Mir aber war klar: Jetzt geht es los.

Der Grund für meine Befürchtungen liegt in einer norddeutschen Speise, die ich schon im Knirpsenalter zum delikatesten Schmaus des ganzen Globus erklärte. Sie hört auf den etymologisch recht kryptischen Namen „Labskaus“, und immer, wenn ich bei meiner guten Mama einen Wunsch frei hatte (was häufig vorkam, da ich ein artiges Kind war), bat ich sie, mein Leibgericht zum Mittagsessen zu kochen. Labskaus besteht aus einer Mischung von Zwiebeln, Kartoffeln und Rindfleisch, wird mit Rote-Bete-Salat, sauren Gürkchen und einem Bismarckhering garniert und endlich von einem Spiegelei bekrönt. Es ist, auch wenn Sie es kaum glauben mögen, ein kulinarisches Kunstwerk. Und es ist – vermutlich – überaus tödlich.

Denn in einer Zeit, in der ich schätzungsweise eine Badewanne voll Labskaus pro Jahr verdrückte, ahnte zwar noch niemand, dass ein gutes Rindergulasch nur zwei Dekaden später dieselben kollektiven Panikreaktionen hervorrufen würde wie weiland der Schwarze Tod; wenn aber die Berechnungen der Wissenschaftler stimmen, dann dürften auch damals schon Legionen von winzigen Killergeschöpfen mit der Durchlöcherung von Rinderhirnen beschäftigt gewesen sein.

Zur Herstellung von Labskaus jedoch wurden stets große Weißblechdosen geöffnet, in denen – laut Aufschrift – „Rindfleisch aus EWG-Beständen“ enthalten war. Das schmeckte in Kombination mit den übrigen Ingredienzien zwar außerordentlich gut; doch wenn ich mich an das Aussehen der sülzartigen Masse erinnere, bin ich mir absolut sicher, dass sie zu einem großen Teil aus geschredderten Köpfen bestand.

Brisanter aber wird die Angelegenheit noch dadurch, dass ich den nächsten Abschnitt meines Lebens in einer Universitätsstadt zubrachte, in welcher ich fast ausschließlich Freunde hatte, die dem süddeutschen Raum entstammten und stets wie ein Spinnenphobiker beim Anblick von Arachnoiden dreinschauten, wenn ich ihnen von meiner Lieblingsspeise erzählte: Selbstverständlich war es mir eine heilige Pflicht, sie vom Wohlgeschmack des Gerichts zu überzeugen, selbstverständlich bekochte ich sie – und selbstverständlich hatte ich Erfolg.

Schon bald sammelten sich lange Schlangen im Treppenhaus, wenn aus meinem Küchenfenster der Duft von Labskaus hinausflatterte, und sicherlich werden mir diese Gelage in zehn oder zwanzig Jahren, wenn meine Freunde und ich die Folgen dieser Mahlzeiten zu spüren bekommen haben, einen Eintrag im Buch der Rekorde bescheren: Denn niemand dürfte jemals vollkommen unabsichtlich mehr Menschen vergiftet haben als ich.