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pampuchs tagebuchWarten beim großen blauen Bruder

Es ist 20 Stunden vor meinem Urlaub, und ich frage mich, ob es Sinn hat, heute Abend noch beim AOL-Live-Chat vorbeizuschauen, den uns unser großer blauer Bruder um 21 Uhr beschert. Es ist ein Chat mit Giovanni di Lorenzo. Der ist ja sowohl uns Münchnern durch die SZ wie inzwischen den Berlinern durch den Tagesspiegel bekannt. Und dem Rest der dem Talk zugeneigten Republik wegen seiner Show „3 nach 9“.

Es ist aber noch lange nicht 21 Uhr, und darum habe ich mich einfach mal so beim Live-Chat umgesehen. Der ist nämlich schon auf, und da geht es zu, wie es eben in einem Auditorium zwei Stunden vor Beginn des Events zugeht. Alles ist noch ein bisschen leer, aber es herrscht gespannte Erwartung. Für Schnüffler wie mich sind überall Einweisungsschilder angebracht, damit ich dann auch nichts falsch mache. Das Komische ist ja, dass ich, obwohl ich nun schon drei Jahre bei AOL bin, noch nie bei einem solchen Live-Chat dabei war. Bis heute wusste ich nicht einmal, dass es ihn überhaupt gibt, obwohl schon hunderte davon stattfanden und sie andauernd auf der Startseite von AOL angekündigt werden. Da sieht man mal, wie wenig wirksam dieser ganze Bannermüll ist.

Aber weil ich heute zufällig im Spiegel gelesen habe, dass AOL in der Welt für diesen Chat wirbt – in flächendeckendem Blau –, weiß ich nun, was da seit Jahr und Tag vor meinen blinden Augen tobt. Und AOL sorgt sogar für die Zufrühgekommenen. So konnte ich um 19 Uhr in aller Ruhe die alten Gästelisten studieren und weiß jetzt, dass 1999 Ottmar Hitzfeld, Bill Ramsey und James Last hier waren. Und die Chats kann man sogar nachlesen! Hab ich glatt gemacht, mit dem von Grönemeyer vor zwei Jahren. Mächtig interessant. Dann habe ich noch versucht, ein paar von den alten Streams anzugucken. Bei Roberto Blanco hat der Real Player gestreikt, was schade ist, weil der Blanco, wie zu lesen stand, doch immer so gute Laune verbreitet. Aber da war dann so ein „allgemeiner Fehler“, wie ihn die von AOL ja laufend produzieren.

Ich hab's dann noch mal versucht im Archiv. Mit John Travolta. Nach langem Zwischenspeichern habe ich wirklich 15 Sekunden Ruckelzuckel-Interview mitbekommen, bevor es zur Netzüberlastung kam. Da hatte ich dann genug von den Rückblicken und habe mich lieber technisch informiert über „Chat im Zuschauerraum; Chat auf der Bühne; Bild und Ton“ – alles säuberlich per Klick erklärt. Es gibt regelrechte Zuschauerreihen, und man kann auch mit seinen Nachbarn schwätzen (nur in seiner Reihe). Aber Vorsicht, die Moderatorin kann die Reihe auch „laut“ schalten und dann „hören“ alle zu. Wenn man großes Glück hat, wird man von der Moderatorin auf die „Bühne“ gebeten und kann dann mit dem Promi live auf der AOL-Bühne schwatzen.

Schließlich rät AOL noch dringlich: Vor dem Chatten Name wechseln! Damit man sich nicht allzu lächerlich macht, weil das Ganze ja auf ewig dokumentiert wird. Und als Rausschmeißer ein wenig Reklame für die Konkurrenz: „Beachten Sie bitte, dass die Bildqualität einer Real-Übertragung nicht mit dem Fernsehen zu vergleichen ist.“ Es ist 20 Uhr. Noch eine Stunde bis zum Live-Giovanni. Mit Fernsehen nicht zu vergleichen? Ich fürchte, mit Print auch nicht. Und mit Biergarten schon gar nicht. Ich könnte ja dort den Tagesspiegel lesen. Den von dem charmanten Meinungsmacher.

THOMAS PMPUCH

ThoPampuch@aol.com

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