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„Kleiner Mädchenhimmel für Erwachsene“

Origami-Tierchen und Schlafsack-Kreationen: Die Ausstellung „Große Ferien“ im Westwerk  ■ Von Hajo Schiff

Ein großes weißes Zelt hat sich in die ehemalige Garage verirrt, drum herum finden sich Bilder und Fotos, Kleidung und Papiertiere. Große Ferien heißt die Ausstellung. Und auch wenn es passend scheint, sich in der Urlaubszeit früherer Zeltabenteuer zu erinnern: Hier geht es um mehr. Anette Guther und Claudia Pegel haben Urlaub genommen und realisieren, passend zum norddeutschen Schulkalender, im Westwerk eine spartenübergreifende Zusammenarbeit. Die Berliner Kostümdesignerin und die Hamburger Zeichnerin kennen sich seit zehn Jahren, und fast ebenso lange schon planen sie – frei von gewöhnlichen Jobzwängen – eine gemeinsame Aktion.

Dass es dabei wesentlich um Mode geht, ist kein Wunder, ist Anette Guther doch eine vielbeschäftigte Kostümdesignerin beim deutschen Film: Sie arbeitete wiederholt mit dem Regisseur Thomas Arslan, unter anderem bei Geschwister (1996) und Dealer (1998), zuletzt im vergangenen Jahr bei dem Fernsehspiel Der schöne Tag. Eine ebenfalls neu aufgelegte Zusammenarbeit, hier mit Regisseur Christian Petzold, war ihre alltagsrealistische Ausstattung für den diesjährigen Film Innere Sicherheit. Und mit dem Blick für das, was in einer Szene richtig ist, kann frau natürlich auch das Geeignete für sich selbst und die Freundinnen entwerfen. So entstand in geringen Auflagen eine kleine Kollek-tion praktischer, meist an Arbeitsuniformen angelehnter Kleider in stark gedeckten Farben. Aber auch ein Abendkleid aus italienischem Stoff ist auf Bestellung zu haben – und damit die Männer nicht vollkommen leer ausgehen, auch ein Unisex-Parka.

Doch eine Modenschau ist nicht geplant: „Es bringt nichts, zu zeigen, wie junge verhungerte Mädels in den Sachen aussehen“, meint Anette Guther. Auch wird das Westwerk kein Show-Room. Vielmehr ist die tragbare und mitnehmbare Kleidung nur ein Teil der umfangreicher angelegten Ausstellung, die sich Anette Guther und Claudia Pegel eher als „kleinen Mädchenhimmel für Erwachsene“ gedacht haben. So entspringen die auf Lebensgröße gesteigerten papierenen Origami-Tierchen eigenen Kindheitserinnerungen. Und die Bettdecken-Matratzen-Kuschelnester-Taschenlampen-Träume, wie sie das größte Ölbild von Claudia Pegel anspricht, entpuppen sich als eigentlicher Ausgangspunkt der Zusammenarbeit. Und eben daran knüpfen auch die zwei Schlafsack-Kreationen an: einer für Verliebte und einer für Depressive zum Verstecken.

Wer es über den Eigengebrauch hinaus mit Mode zu tun hat, begreift schnell, um welch übles Geschäft es sich dabei oft handelt. „Irgendwie kommt man immer in so eine Ausbeutungsgeschichte“, sagt Anette Guther und versichert angesichts des üblichen Lohndumpings, sie habe alles aus guter, haltbarer und vorgewaschener Baumwolle zu normalen Preisen in Berlin nähen lassen. Eher kritisch sind auch Claudia Pegels Bilderfindungen zum Thema, ihre gesammelten Modefotos und die Ansichten vom dubiosen Recycling in der Second-Hand-Branche.

Die beiden Künstlerinnen suchen ein dezidiert weibliches „Wohlfühlgefühl“, ohne dabei Püppchenklischees und Marken-images zu verfallen. Qualitätvolle und haltbare Produkte jenseits einer bloß saisonalen Aktualität wollen sie bieten. Das hat viel zu tun mit der „no logo“-Thematik, dem neuen, pragmatischeren Label für „Konsumzwang“. Jenseits von Hochglanzrahmen oder unterschwellig genau gesetzter Szene findet sich im Westwerk für ein paar Tage das, was in positivem Sinne als Kunst-Handwerk bezeichnet werden kann. Die Preise für die praktischen Overall-Kleider werden hier aber nicht verraten.

Eröffnung: heute, 19 Uhr; Westwerk, Admiralitätstraße 74; täglich 16–20, Sa + So 12–18 Uhr; bis 24. August

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