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: Das 5:2 über Ungarn ist ein Placebo, hilft aber

Playing Cure

Den Ungarn stößt ihr Leibgericht Pörkölt schon lange nicht mehr sauer auf. Sie haben sich an die Schwäche ihrer Nationalmannschaft gewöhnt. Am Mittwoch qualifizierten sich die Ungarn für Europas Parterre, in dem es mit Liechtenstein, Luxemburg und Andorra schon eng ist. Der Absturz der Magyaren in den letzten Jahrzehnten ist tief, da helfen auch keine Erinnerungen an die gute Zeit der Fünfziger, als Puskas und Co. den Fußball trieben. Das physische Spiel scheint auf dem Stand von gestern verblieben zu sein, allenfalls individuell überzeugten manche Kicker.

Rudi Völler wird es recht gewesen sein. Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen England am 1. September in München sammelten die Spieler des Teamchefs Selbstvertrauen. Die Stürmer kurierten ihre Misere. Carsten Jancker bekam sein Tor per Hauszustellung, Sekunden vor Schluss jubelte Oliver Bierhoff etwas zu überschwänglich über das 5:2, das Tor, dem er seit 498 Minuten hinterherhechelt. Jancker bolzte forsch, um sich ins Team der Müncher Bayern zu hieven. Überdies schindete er einen Elfmeter, den ein weiterer Saison-Gebeutelter, der Schalker Jörg Böhme, befreit ins Netzt drosch. Selten war Fußball so viel Therapie. Im Budapester Nep-Stadion holten sich die DFBler das, was ihnen im normalen Spielbetrieb versagt blieb, unter altruistischer Mithilfe der Gastgeber.

Englands Abwehr wird es den Deutschen nicht so leicht machen, sie nicht unbehelligt fast bis an den Strafraum trotten lassen, von spielzerstörenden Maßnahmen wie Pressing und Tackling absehen und den Gewährsmann mimen. Deswegen sagt das Spiel in Budapest wenig aus. Es wurde im Zustand unlauteren Wettbewerbs gekickt. Von den Ungarn lässt sich so wenig auf die Engländer schließen wie vom Alphabet auf einen guten Roman.

Franz Beckenbauer durfte sich an der Donau erinnern, wie das DFB-Team 1972 gegen die Ungarn mit 2:0 siegte, von der deutschen Presse aber „zerrissen“ wurde und einen Monat später zum ersten Mal in Wembley (3:1) gewann. Zum zweiten Mal gelang dies in der laufenden WM-Qualifikation. Die Vorzeichen sind derzeit andere als zu Zeiten Beckenbauers: Deutschland stützt sich auf die unsichere Vermutung, unter Rudis Amstzeit den neunten Sieg einzuholen (bei einem Unentschieden und zwei Niederlagen); England ist verunsichert durch die deutliche Niederlage gegen Holland (0:2).

„Die fünf Tore tun uns wirklich gut“, sagte Völler. „Es ist angenehm, mit solch einem Erfolgserlebnis in das Spiel gegen England zu gehen. Es war ein ganz tolles Spiel.“ Nur in den letzten zwanzig Minuten ortete er „fahrlässige“ Aktionen. Er unterschlug die ersten zwanzig, in denen seine Schützlinge so vorsichtig und gehemmt zu Werke gingen, als sei das Feld im Nep-Stadion mit Fallgruben gespickt. In der Versenkung verschwanden die Ungarn, deren Spielern offenbar ein gelungenes Dribbling für den vergnüglichen Ausgang des Abends reichte. Torhüter Gabor Kiraly mutmaßte, die Niederlage sei zustande gekommen, weil „die deutsche Mannschaft ihre Torchancen eiskalt nutzte“. Und weiter: „Unsere Mannschaft braucht noch etwas Zeit, um international mit den führenden Mannschaften mithalten zu können.“

Auch die Lückenbüßer nutzen ihre Chance. Frank Baumann überzeugte als Glied der Dreierkette. Sebastian Kehl spielte im defensiven Mittelfeld recht apart, erzielte ein Tor nach schönem Weitschuss und widerstand danach der Verlockung, seine Leistung schönzureden. „Ich muss noch sehr viel lernen“, sagte der 21-jährige Angestellte des SC Freiburg. Ums Mittelfeld muss man sich in Zukunft nicht sorgen. Böhme und Gerald Asamoah rempeln sich auf den Außenbahnen robust nach vorn, flanken leidlich und zentral passt Sebastian Deisler vor und auf. Aber: Die Abwehr bleibt anfällig nach langen Pässen in die Spitze. Der Sturm ist immer noch mehr mit sich selbst beschäftigt als mit der Idee des Fußballspiels. Das England-Spiel könnte die Probleme forcieren.

Einen originellen Gedanken, mit unfähigen Balltretern umzugehen, fasste übrigens Gyula Grosics, der Keeper des Teams, das in Bern den Deutschen im Finale der WM 1954 mit 2:3 unterlag. Eine politische Diktatur hätte seine Fußballer nach so einer Enttäuschung wie damals hingerichtet, sagte er trocken.

MARKUS VÖLKER