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Wer krank wird, ist selber schuld

■ Initiative „Kaputtmalocht“ kämpft gegen die Vereinzelung

„Asbestose und Lungenkrankheiten können nach 30 oder 40 Jahren ausbrechen; wir sind mit diesem Thema noch lange nicht über den Berg.“ Dieter Häring ist Betriebsrat bei den Bremer Stahlwerken und engagiert sich bei den „Kaputtmalochern“, einer Initiative, die sich für die Gesundheitsrechte im Stahlwerk und anderswo einsetzt. Am Samstag hatte die Initiative Gelegenheit, ihr Anliegen auf dem „Hüttentag“ im Stahlwerk öffentlich vorzubringen.

Vor der Anerkennung einer Berufskrankheit mit Entschädigungsanspruch steht ein strapaziöser Weg. Der Geschädigte muss beweisen, dass seine Lunge wirklich während der Arbeit von Asbest zerfressen wurde. Doch oft fehlen die nötigen Dokumente. Denn regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen werden erst seit fünf bis sechs Jahren durchgeführt, und Krankenhäuser bewahrten Dokumente nur zehn Jahre lang auf.

„Selbst nach einer Anerkennung der Berufserkrankung ist die Berufsgenossenschaft bestrebt, diese unter die Entschädigungsgrenze zu drücken“, sagt Hans-Georg Isenberg, Uni-Dozent und Aktivist bei „Kaputtmalocht“. Komme es zum Prozess, seien Gutachter rar und als Interessenvertreter der Berufsgenossenschaft oft parteilich, so Isenberg weiter. Seit Jahren kämpft die Initiative um eine Umkehr der Beweispflicht – bislang vergeblich.

Zwischen Fressbuden, Karussel und Anglerstand präsentierten die „Kaputtmalocher“ am Samstag ihr Anliegen auf dem Werksgelände der Stahlwerke. Ob sie denn nicht ihren Namen ändern könnten, seien sie wiederholt von der Betriebsleitung gefragt worden. Doch der Name soll so direkt bleiben, um auf das Thema „berufsbedingte Krankheiten“ aufmerksam zu machen. Dabei gehe es keineswegs nur um Asbestose. „Gerade psychische Beschwerden nehmen stark zu“, sagt Betriebsrat Häring.

Auch die eigentlich sinnvollen Rückkehrergespräche nach längeren Fehlzeiten könnten zu hohem psychischen Druck führen. Zwar gebe die Betriebsleitung an, im Interesse der Beschäftigten Miss-standsanalysen zu erstellen, um damit die Zufriedenheit der Arbeitenden zu erhöhen. Gleichzeitig führte die Befragung jedoch auch zu Verunsicherungen. Dies habe zur „Individualisierung allgemeiner und genereller Krankheitsbilder geführt“, berichtet Isenberg. Damit werde den Kranken signalisiert, „du bist selber Schuld, dass du krank bist.“ Gerade bei chronisch Kranken sei es nicht akzeptabel, wenn sich jemand zwölfmal für das Gleiche erklären müsse. Der Kranke beginne dann nach Schuld bei sich selber zu suchen. Die Folge ist zusätzlicher Stress.

Das Aushorchen nach Fehlzeiten, das bis ins Privatleben gegangen sei, habe der Betriebsrat inzwischen abgestellt, so Betriebsrat Häring. Zugleich gehe ein Teil der stark verjüngten Belegschaft zu sorglos mit der eigenen Gesundheit um. Das frappiert auch „Kaputtmalocher“ Isenberg, der eine „zunehmende Sprachlosigkeit“ in der Belegschaft feststellt. „Die Leute stellen kaum noch Ansprüche bei Pausenregelungen oder der Gestaltung von Sozialräumen.“ Dem wollen die „Kaputtmalocher“ entgegenwirken. Ohne die Unterstützung der Betroffenen gehe das jedoch nicht. Isenberg: „Das ist wie bei Alkoholikern, die müssen auch wollen und selber kommen.“

„Neue Technik, neue Fehler, neue Fehleranalyse – es ist nicht leicht mit der Entwicklung standzuhalten“, sagt ein junger Stahlwerker, der den Tag der offenen Tür nutzt, um der Freundin seinen Arbeitsbereich im Warmwalzwerk zu erklären. Hier wird der rot glühende Stahl auf 1,5 Millimeter zusammengedrückt. Ein Vorarbeiter, er ist wohl in den Dreißigern, spricht von der Unsicherheit der Belegschaft. Das Leben sei nicht mehr planbar, Investitionen gäben nur eine gewisse Sicherheit für den Standort Bremen. Klaus Lübeck

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