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nebensachen aus pragTouristenfang in der Goldenen Stadt

Kafka und Goldnase

Es ist vier Uhr nachmittags in der Prager Altstadt. Selbst die brütende Spätsommerhitze, die dieser Tage auf ihren verwinkelten Gassen lastet, kann sie nicht abschrecken: die Horden von Touristen, die die Stadt durchkämmen, und die Schilderträger, die stundenlang herumstehen und kulturelle oder fleischliche Vergnügungen aller Art anpreisen. Unter dem Rathausturm wartet Peter auf seine Kunden. Jeden Tag steht er da, hebt sein Pappschild hoch, um noch ein paar Unentschlossene zu ködern. „Franz-Kafka-Tour“ prangt in großen, schwarzen Buchstaben auf Peters Schild. Seine Kollegin nebenan bietet eine Tour de Architektur durch die Altstadt an. Prag ist voll solcher Touren. Außer Kafka und Architektur gibt es da noch die Geistertour, die Kneipentour oder den „Samtene-Revolution-Spaziergang“. Peter, der Kafka-Führer, kommt aus Nordengland. Er, der sich selbst gerne als „ökonomischen Flüchtling der Thatcher-Ära“ bezeichnet, hat die typische Karriere eines frühen Prager Expatriots hinter sich. Zu Beginn der Neunzigerjahre kam er in die Stadt an der Moldau, die sich damals in einer Aufbruchstimmung befand. „Ausländer hatten es damals noch einfach“, seufzt Peter alten Zeiten nach. Nach Jahrzehnten der Abschottung waren die Tschechen Neuankömmlingen aus dem westlichen Ausland gegenüber enorm aufgeschlossen. Unter Tschechinnen galt ein westlicher Feund als Status-Symbol, selbst Amerikaner wurden mit offenen Armen empfangen. Natürlich hatten diese Gründerjahre auch ihre Nachteile. Die Restaurants ließen zu wünschen übrig, was sich jetzt, wie er erleichtert feststellt, doch sehr geändert hat. Peter fing an, Englisch zu unterrichten. Nach zwei Jahren fiel Peter ein Buch in die Hände: „Franz Kafka und Prag“, ein dünnes Bändchen über Kafkas Verhältnis zu seiner Heimatstadt, verfasst von einem findigen Österreicher, um mit dem literarische Erbe Prags viel Geld zu machen. Doch zurück zu Peter. Seit dieser schicksalsträchtigen Lektüre steht er also da. Jeden Tag um vier Uhr nachmittags vor dem Altstädter Rathaus. Rund 15 Mark, 250 Kronen, muss jeder berappen, der sich von Peter auf Kafkas Spuren durch die Prager Altstadt führen lässt. Zuerst geht es zu Kafkas Geburtshaus, gleich neben dem Altstädter Ring. Gleich nebenan befinden sich das „Franz-Kafka-Zentrum“ und das „Café Milena“. Die Tour geht weiter vorbei an der „Franz-Kafka- Buchhandlung“ auf dem Altstädter Ring, vorbei an unzähligen Ständen, die T- Shirts und Postkarten mit Kafkas Antlitz verkaufen. Vor der Revolution war Kafka in seiner Heimatstadt kaum bekannt. Heute verfolgt einen sein Bild durch ganz Prag. Peters Tour führt vorbei an weiteren Gebäuden, die irgendwie mit dem Namen Kafkas verbunden sind, begleitet mit einem kurzen Vortrag Peters über Kafkas Leben. „Das Mütterchen hat Krallen“, zitiert Peter bedeutungsschwer und erklärt, dass Kafka auch mal in Berlin gelebt hat. In der Kneipe „Zum Schwejk“ erholen sich Peter und seine Gruppe von der knapp einstündigen Strapaze. „Wer war eigentlich Kafka?“, fragen zwei blutjunge Amerikanerinnen unschuldig. Peter ist es egal, dass sein Vortrag keine tieferen Spuren hinterlassen hat. „Gut die Hälfte hat noch nie von Kafka gehört“, sagt er, „weiß selbst nicht, warum die überhaupt kommen.“ Sein Job macht ihm jedenfalls Spaß: „Ich verdiene durch eine Stunde Arbeit pro Tag mehr als durch Englischunterricht.“

ULRIKE BRAUN

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