: Altisländische Saga-Stimmung
■ Undurchdringlich: Hans S. Petersens Krimi „Geest“
Eigentlich ist alles drin: der tumbe Dorfpolizist, der unerwünschte Ausländer, der rechte Kriegsveteran, die Nymphomanin. Und ein 100 Jahre altes Verbrechen, in dessen Verlauf fünf Dörfler die Magd Elsbeth vergewaltigten, die später ihr Baby kreuzigte: Mit der Brutalität einer isländischen Saga stattet der deutsch-dänische Autor Hans S. Petersen seinen Krimi Geest aus, der in Dithmarschen spielt – einem Dorf, auf dem ein Fluch liegt: das Wissen um das Versagen aller, als Elsbeth Hilfe suchte.
So weit, so archaisch. Und dass es in dieser Atmosphäre von Inzest, Misstrauen und Schuldgefühlen irgendwann zu brutalen Morden kommen muss, macht der Autor durchaus plausibel. Auch dass er einen Kommissar installiert, der sich in die erstbeste Dorfgattin verliebt, gehört zu Petersens Spielchen. Ein Dickicht aus Beziehungen setzt er dem Leser vor und verschweigt genüsslich mal dies, mal jenes. Wahrheits- und Lügenhäppchen bereiten die Bewohner auch dem ortsfremden Kommissar, der keine Chance hat gegen den Beschluss des Polizisten, dass der Iraner die junge Bodil ermordet haben muss. Oder der behinderte Rolf, dessen Wahnsinnsmonologe genial gedrechselt und von Bibelzitaten durchwuchert sind, als fielen Delirium und Mysterium zusammen?
Doch keiner von beiden wars, und bald werden zwei weitere Mädchen gemeuchelt – just zu der Zeit, als die junge Karin anstelle ihrer fünf Welpen krpytische Zettel eines Unbekannten vorfindet. Ein sadistisches Spielchen beginnt der Briefschreiber mit der vergebens recherchierenden Karin.
Sie entkommt ihrem Mörder schließlich knapp – und hinterlässt einen hilflosen Leser, der nicht he-rausbekommt, ob der selbst ernannte Rächer seine Version der alten Magd-Geschichte erfunden hat oder nicht. Man überlegt, blättert, vergleicht und rechnet – und wird doch nicht fündig. Auch nicht bezüglich der Frage, warum die anderen Mädchen sterben mussten. Ein genialer Kunstgriff? Oder eine dürr konstruierte Geschichte, die sich als atmosphärisch dichtes Dorf-Psychogramm weitaus wohler gefühlt hätte? Petra Schellen
Hans S. Petersen: Geest. Hamburg 2001; 224 S., 32,50 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen