: Die Sandburg danach
■ Vertrackt: Hans König nähert sich in der neuen KuBa-Produktion diversen Paradiesen
Es gibt, zunächst einmal, eine Menge Sand. Der Raum des Kulturbahnhofs Vegesack (KuBa) wirkt, als hätte man versucht, ein Indoor-Beachvolleyball-Turnier auszutragen und sich dann doch fürs Theater entschieden. Für ein Stück über das Leben nach dem Tod namens „Paradies ...?!“, das der KuBa-Hausherr, Autor und Regisseur Hans König für das Haus-Ensemble eingerichtet hat.
Doch beginnen wir von vorn, was in diesem Fall das Ende ist. Denn vor den Tod hat der Herr das Sterben gelegt. Und das bleibt auch so, nachdem seine Existenz gründlichst in Frage gestellt wurde. Aus einer weißen Wartehalle – die einen prima Spielraum für Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ abgeben würde – ziehen wir durch ein helles Labyrinth. Vorbei an Sterbeszenen. Es sind stille, ruhige, schöne Bilder, die so gar nichts morbides an sich haben. Das ist das Ende. Doch man sieht sich wieder. Und wir, die Zusehenden, sind zu Besuch.
Königs Stück lebt von zweierlei. Einerseits von der Versuchsanordnung: „Was machen Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, miteinander, wenn sie unendlich viel Zeit haben?“ Und zweitens: Was wird aus der Zeit danach, nachdem der Schöpfer von uns ging? „Paradies ...?!“ erweist sich als unmysteriöses Mysterienspiel, zugleich als eine vergleichsweise irdische Angelegenheit.
Sechs Figuren sind angekommen. Sie wissen nichts voneinander und vermutlich auch nicht allzuviel von sich selbst. Erst langsam werden sie für uns zu den Menschen, die sie waren. Da ist die Journalistin und da ist W., der Weltreisende. Oder da sind Herr und Frau S., die ihren Jahrzehnte währenden Ehestreit auch dann nicht ad acta legen, wenn alles vorbei ist.
Von fünf normalen und einem animateurhaften Oberengel werden sie darauf hingewiesen, dass dies keine Erholungsstätte ist. Und vor allem gar nicht paradiesisch, denn diese sandige Mischung aus Robinson Club und Sanatorium ähnelt eher einer höllischen Gruppentherapie. Daran krankt das Stück ein wenig.
Dennoch schafft Königs Text Raum für skurrile, komische und auch wunderschöne Situationen, die sich manchmal abseits vom Hauptgeschehen vollziehen. Minutenlang sitzen W. und die Journalistin, die im früheren Leben nur knapp einer romantischen Affäre entgingen, auf einer weißen Bank, ganz Blick, melancholisch aber nicht kitschig. Oder die zögernd anruckelnden Todes- (und Lebens-) Erzählungen, die in eine wunderschöne Choreografie münden.
Königs detailverliebte Produktionsweise, seine kompakte Dramaturgie aus Minisequenzen, seine Fähigkeit, Erzählstränge zu verknoten und sie auf höchst amüsante Art und Weise wieder zu lösen, gepaart mit einem geschlossenen Ensemble und punktgenauer musikalischer Untermalung – das alles sind Pluspunkte. Das Paradies im Kulturbahnhof ist ein Spielort in mehrfacher Hinsicht. Einer, an dem Zweifel und Glauben, Leben und Tod, gleichberechtigt nebeneinander stehen. Und das ist auch gut so.
Tim Schomacker
Vorstellungen: täglich bis 28. August, 20 Uhr. Karten Tel.: 0421-65 00 60.
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