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Augen zu und Mimikry

■ Zu ihrem 30. Geburtstag eröffnet die Galerie Gruppe Grün heute „Parallele Universien“. Die KünstlerInnen Fritz Rahmann und Zala T.S. Unkmeir sind fremden Leuten dicht auf die Pelle gerückt

Zu viele fremde Leiber zu nah: U-Bahn-fahren ist beklemmend. Manche Passagiere schließen einfach die Augen, um zumindest mentale Distanz zu den übrigen herzustellen, wo räumliche nicht möglich ist. Manche haben Hilfsmittel bei sich – Kopfhörer oder Bücher. Fritz Rahmann hat sich zwischen sie gesetzt und sie heimlich gezeichnet. Seine Blätter zeigen Fahrgäste mit gesenkten Köpfen, zusammengesunken und mit halb geschlossenen Lidern. Sie versuchen, sich gegen den öffentlichen Raum abzuschotten. Genau in diesen Augenblicken zeigen sich die Menschen von einer sehr intimen Seite.

Gelegentlich sind Rahmanns Modelle vorzeitig ausgestiegen und auf dem Papier blieben bloß eine Kinnkontur oder ein Augenpaar stehen. Macht nichts: „Danach steigt dann vielleicht so ein Opa ein, und der ist dann wieder ein ganz anderes Kapitel Mensch.“ Auf großen Papierbögen zeigt er die einzelnen Seiten seines Zeichenheftes nebeneinander, Porträt an Porträt.

Diese Arbeit hat das Leben des Berliner Künstlers verändert: „Vorher war U-Bahn-Fahren so ein Leiden, eine Bedrängung. Heute bereitet mir das richtig Lust. Kaum sitze ich, muss ich sofort mein Notizbuch herausholen und zeichnen“, sagt der 65-Jährige. Rahmanns feinnervige Kulikonturen dokumentieren seltsame Perspektiven auf's menschliche Antlitz. Etwa den Blick von unten, wenn man auf der Bank hockt und die Leute betrachtet, die im Gang stehen müssen. Wann sonst hat man schon Mal die Gelegenheit, fremden Menschen in die Nasenlöcher zu gucken? Welch voyeuristische Lust hat des Zeichners Hand wohl geführt?

Anderer Art ist die Mimikry der Menschen, die Zala T.S. Unkmeir in ihrer Serie „Was Kämpfer tragen“ zeigt: Die Porträtierten haben alle Kleidungsstücke mit Camouflage-Mustern an. Das militärische Tarnmuster wurde während des Ersten Weltkriegs von Künstlern kreiert. Luftaufnahmen von Landschaften dienten ihnen als Vorlagen. Auf Unkmeirs monumentalen Fotografien posieren Männer und Frauen sämtlicher Altersstufen, die T-Shirts, Hosen oder Jacken mit diesem Muster tragen.

Die Weimarer Künstlerin wollte heraus finden, welche Absicht dahinter steckt, wenn Leute sich in diese Militärkluft werfen. Die verblüffende Erkenntnis ihrer Recherche: „Nichts Bestimmtes.“ Es sind nicht bloß braune Kraftmeier, die sich ins scheckige Zeug werfen. Überhaupt verflüchtigt sich der Eindruck von Uniformität beim Blick auf die Fotos. Jeder gibt dem Kleidungsstück, das er trägt eine individuelle Bedeutung.

Da gibt es eine ältere Dame mit Plastikhandtasche, die ein Camouflage T-Shirt mit einem knielangen Rock kombiniert. Sie hat das kleidsame Stück vielleicht auf einem Grabbeltisch bei Woolworth entdeckt. Schnäppchen-Camouflage.

Der junge Mann mit dem Stoffhut und der engen Perlenkette um den Hals kontrastiert mit der Flecken-Jacke hingegen raffiniert sein übriges Outfit. Aber es gibt auch den Mann mit dem gut gepflegten Oberkörper, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Beine in lässiger Kontrapost-Stellung – so als habe ihm ein Feldwebel soeben befohlen: „Rühren!“ Sie alle tragen das gleiche, folgen demselben modischen Code „aber durch ihre individuelle Art, die Dinge zu tragen und zu kombinieren, durchbrechen sie die Gleichförmigkeit“, meint die 30-jährige Künstlerin. Irgendwie zeigen die Menschen gerade dann am meisten her, wenn sie sich verstecken – der U-Bahn-Träumer, hinter dessen Lidern ein aufgegeregter Augapfel rotiert ebenso wie das Würstchen in Camouflage.

Kathrin Wesely

Die „Parallelen Universien“ sind bis 21. September, mittwochs bis freitags von 15 bis 18 Uhr zu sehen. Eröffnet wird die Ausstellung heute abend um 20 Uhr.

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