: Liebe und andere Merkwürdigkeiten
■ Stefanie Gercke liest heute im Rahmen des Südafrika-Festes im Schlachthof aus ihrer Polit-Saga „Ins dunkle Herz Afrikas“
Die Autorin Stefanie Gercke, 1941 im westafrikanischen Guinea Bissao geboren, lebte in den 60er und in den mittleren 70er Jahren in Südafrika. Zweimal mussten sie und ihr Mann das Land aus politischen Gründen verlassen. Derzeit arbeitet sie am abschließenden Teil einer Romantrilogie: In „Ich kehre zurück nach Afrika“ (1998) und „Ins dunkle Herz Afrikas“ (2000) erzählt sie die Geschichte von Henrietta, die als junge Frau Ende der 50er Jahre nach Südafrika kommt und dort ihren späteren Mann kennen lernt.
Die Partnerschaft Bremen-Durban hat Stefanie Gercke eingeladen, aus der Geschichte einer Frau zwischen der Liebe zu Afrika und dem Unverständnis für die politische Struktur des Apartheid-Staats zu lesen.
taz: Wie ist das Verhältnis der Romane zu Ihrer eigenen Biografie?
Stefanie Gercke: Natürlich ist wahr, dass die meisten Schriftsteller eigene Erlebnisse bearbeiten. Entsprechend liegt einigen Szenen schon etwas zu Grunde, was ich erlebt habe: Ich weiß genau, worüber ich schreibe. Beide Bücher decken in etwa die Zeit ab, die wir in Südafrika verbracht haben. Meine Biografie war eine außerordentlich bewegte; ich muss nicht nach Themen suchen.
Es sind Zeitromane. War ein politischer Anspruch der Ausgangspunkt des Schreibens?
Ich möchte es privater formulieren. Wenn Sie in ein Land kommen, wie die Figur der Henrietta... Sie sieht Erwachsene Menschen, die vom Bürgersteig runtergehen. Wenn Sie vorher ein völlig unpolitischer Mensch waren, beginnen sie sich zu wundern. Sie merken und sehen immer mehr. Im Grunde erklärt das erste Buch, warum diese Geschichten, warum auch diese Wut entstanden ist. Was mich in Südafrika immer bedrückt hat, war, dass es unendlich viele Deutsche gab, die fröhlich und sehr gut dort gelebt haben und die abgestritten haben, dass es die alltägliche Apartheid gab. Häufig habe ich sogar mein eigenes Urteilsvermögen angezweifelt. Das ist im Übrigen bis heute schwierig...
...was auch damit zu tun hat, dass ein „Ende der Apartheid“ nur als Prozess zu haben ist.
Sicher. Man kann nicht erwarten, dass irgendwer plötzlich über alles ganz anders denkt. Dinge, zu ent-lernen, sie aus dem eigenen Gefühlsleben und Urteilvermögen zu streichen, ist verdammt schwierig.
Sie haben ihre Bücher in Schleswig-Holstein geschrieben. War die Distanz hilfreich?
Ja. Aus zwei Gründen. Die Sehnsucht nach Afrika ist um so stärker, wenn man im Winter hier sitzt und rausguckt. Zum zweiten konnte ich es nicht schreiben, bevor Mandela Präsident wurde. Ich hatte Notizen. Doch der andere Blick nach 1994 war nötig. Rückblickend kann ich sagen, dass, wenn wir gewusst hätten, wie schlimm es wirklich war, wir hätten nicht einmal den Gedanken gefasst zurückzugehen.
Ihre Bücher berühren wichtige Fragestellungen, gerade auch im Blick auf das heutige Südafrika. Wie sehen die Reaktionen im Publikum aus?
Eine gewisse Sehnsucht ist spürbar. Viele waren schonmal dort oder möchten hinfahren. Dazu kommen politische Diskussionen. Es gibt konservative und sehr fortschrittliche Positionen. Ich stelle oft fest, dass Leute mit europäischem Kopf herangehen – und das kann man nicht. Mit europäischer Logik allein ist Afrika nicht zu verstehen. Gesellschaft funktioniert vollkommen anders. In beide Richtungen: Einerseits ein unglaublich selbstverständliches Verantwortungsgefühl gegenüber Familie, andererseits für uns irritierende Traditionen. Man sollte nicht versuchen, allein nach unserem Verständnis zu urteilen oder es den Südafrikanern aufzudrücken. Eine Entwurzelung ist derzeit vielleicht das größte Problem.
Weil kein Land der sogenannten Dritten Welt – so stellt es sich momentan dar – Anschluss finden kann, ohne ein kapitalistisches System... ...das Faszinierende ist andererseits, wie selbstverständlich computerisierte Arbeitswelt und alte Traditionen doch zusammengehen im Alltag der Menschen. Wenn man vieles nebeneinander bestehen ließe, würde es vielleicht besser laufen.
Sie wurde von der beginnenden Partnerschaft zwischen Bremen und Durban eingeladen. Angesichts der ganzen Probleme, über die Sie sprachen: Wo können diese Initiativen hilfreich sein?
Geld allein reicht nicht. Was gebraucht wird, ist die berühmte Hilfe zur Selbsthilfe . Man sollte sich genau ansehen, wie die gesellschaftliche Struktur beschaffen ist. Sehr häufig sind es Frauen, die wirklich was tun. Das hat nichts mit einem europäischen Verständnis von Emanzipation zu tun. Es gibt beispielsweise eine Vereinigung der Marktfrauen in Durban. Die haben sich zum ersten Mal in ihrem Leben zusammengetan um Dinge zu produzieren und zu verkaufen. Eine alte Zulu sagte mir, erst durch diesen Zusammenschluss könne sie einem Mann in die Augen sehen. Anständig gebaute Unterkünfte werden am meisten gebraucht. Künstlerischer Austausch beispielsweise ist sehr wichtig, andererseits sind sie es nicht, die gesellschaftliche Änderungen herbeiführen können. Ich betrachte solche Projekte mit einer gewissen Vorsicht, auch wenn ich das Engagement und die Intentionen als positiv erachte. Den richtigen Weg zu finden, ist sehr schwierig. Es müssen Leute dabei sein, die sich mit kulturellen und traditionellen Strukturen im südlichen Afrika auskennen. Fragen: Tim Schomacker
Stefanie Gercke liest heute um 18 Uhr im Schlachthof
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