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Flug überbucht?

Macht nichts: Ein Indien-Ticket kaufen, vier Übersee-Tickets geschenkt bekommen. Umsonst um die Welt

Bombay, International Airport. Es ist Mittwoch, 22.30 Uhr. Die indischen Mitarbeiter am Check-in-Schalter der Air France müssen kapitulieren: Der Nachflug AF 135 nach Paris ist hoffnungslos überbucht. Es werden Freiwillige gesucht, die von ihrem gebuchten Platz zurücktreten. Zehn Kandidaten sind kurz entschlossen: vier deutsche Traveller, ein holländischer Beamter, eine fünfköpfige indische Familie. Die Prämie: 2.500 Französische Franc (FRF) cash (745 DM) oder ein Air-France-Fluggutschein über 4.750 FRF (1.415 DM) pro Person, dazu Unterkunft im Hotel mit Verpflegung, bis der nächste Flieger geht. Das soll morgen sein – aber über Delhi. Die Freiwilligen warten bei Schnittchen im Flughafencafé.

23 Uhr. Ein Air-France-Mitarbeiter bringt die ersten Gutscheine – allein fürs Bereithalten: Wahlweise über 500 FRF bar oder über einen Flug-Voucher im Wert von 750 FRF, pro Kopf. Mitternacht ist alles klar: Alle zehn müssen ins Hotel. Ein Bus fährt die Freiwilligen um zwei Uhr nachts zurück in die Stadt. Am nächsten Morgen liegen die restlichen Voucher an der Rezeption: Nochmals 2.000 FRF Bargutschein oder Freiflug für 4.000 FRF. Mittags holt ein Bus die Gruppe ab. Von Bombay geht es mit Air India nach Delhi, von dort startet abends eine Air-France-Maschine nach Paris. Aber auch die wird total überbucht sein. Die zehn Meilensammler opfern sich feixend noch mal, und noch mal, und noch mal – vier Tage lang. Am fünften Tag werden sie en bloc nach Paris abgeschoben, obwohl noch immer Freiwillige gesucht werden. „In Indien lernt man Gelassenheit. Aber noch länger hätte ich das nicht mitgemacht“, resümiert die Kölner Grafikerin Kerstin Koller (34).

Für die Airlines ist es ein Geschäft: mehr Tickets verkaufen, als es Plätze im Flieger gibt. Meist geht das gut, weil erfahrungsgemäß einige Passagiere die Maschine sausen lassen. Manchmal geht die Rechnung aber nicht auf – und ein paar gebuchte Gäste müssen am Flughafen zurückbleiben. Die Fluggesellschaften zahlen dann Entschädigungen: Bargeld oder Fluggutscheine. Wer Zeit hat und es geschickt anstellt, kann kräftig Kasse machen. Die indische Familie aus Paris streicht mit der Warterei zwischen Airport und Fünf-Sterne-Hotel fast 15.000 Mark ein.

Die Lufthansa hat ihr Überbuchungsgeschäft geradezu perfektioniert: zwölf Prozent aller gebuchten Gäste traten voriges Jahr ihren Flug nicht an – immerhin 5,6 Millionen. Damit hätte man die Sitze von 14.400 Boeings 747-400 füllen können. Aber nicht alle Plätze blieben leer. Die Lufthansa hatte im Voraus kräftig überbucht und fast eine Million Tickets mehr verkauft. Das ging nicht immer gut: Fast 50.000 gebuchte LH-Flieger durften doch nicht abheben.

Solche Szenen sind den Airlines peinlich, vor allem wenn sich nicht genug Freiwillige finden. Dann gilt das Prinzip: Den Letzten (Eincheckenden) beißen die Hunde. Für einen Arzt oder Anwalt, der ein paar Tage seine Praxis dichtmachen muss, weil er am Airport festsitzt, ist das schnell eine kleine Katastrophe, die Kompensationen dann nur lächerlich. Allerdings kann er Schadensersatz einklagen.

In den USA ist das Spekulieren auf überbuchte Flüge fast Volkssport. Profis, so genannte Bumpees, erfragen bei Reisebüros überbuchte Flüge und lassen sich gegen Cash oder Gratisflüge am Flughafen wieder von der Passagierliste streichen. Um den Wert des Fluggutscheins wird am Gate noch munter gefeilscht.

In Europa sind die Check-in-Schalter noch keine Basarstände. Hier sind die Bar-Kompensationen gesetzlich EU-weit geregelt. 150 Euro Cash-Entschädigung sind derzeit das Minimum, wenn die Maschine überbucht ist und man nicht binnen zwei Stunden mit einer anderen wegkommt. Auf der Langstrecke sind in dem Fall mindestens 300 Euro fällig.

Die freiwillig über Bord gegangenen Passagiere des AF-Fluges 135 von Bombay nach Paris schwören auf Indien und die Air France. Ihre Gleichung: ein Indien-Ticket kaufen, vier Übersee-Tickets geschenkt bekommen.

KAI ALTHOETMAR

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