: Anregendes Erzähltheater
Neue Kampnagel-Dramaturgin: Eva-Maria Stüting ■ Von Annette Stiekele
„Schreiben ist für mich, als ob man sich selbst die ganze Zeit Witze erzählt“, sagt Eva-Maria Stüting. Die junge Theaterautorin ist ab der kommenden Spielzeit auf Kampnagel als Dramaturgin für die Bereiche Jugendtheater und Clubprogramm verantwortlich. Seit Oktober wird emsig vorbereitet, doch fand Stüting im Juli noch die Zeit, als eine von drei Deutschen am Internationalen Festival junger Dramatik „Interplay 2001“ in Townsville, Australien teilzunehmen.
34 angehende Theaterschreiber aus zehn Ländern durften bei der „Biennale für junge AutorInnen“ dabeisein und der Eröffnungsrede von Peter Sellars lauschen. In Workshops konnten die Jungtalente dann ihre eigenen, auch unvollendeten Stücke mit internationalen Tutoren besprechen. Umgeschrieben wurde nicht. „Die Tutoren haben mir nur ihre Brillen geliehen, und das war sehr hilfreich“, sagt Stüting. Auf deutscher Seite war Henning Fangauf als Tutor dabei, der das deutsche Kinder- und Jugendzentrum in Frankfurt leitet. Er hatte Eva-Maria Stüting eingeladen.
Schnell kristallisierte sich eine Opposition heraus: Die britische Tradition des „well-made play“ folgt der traditionellen Dramaturgie mit einer ordentlichen psychologischen Entwicklung, klassischer Charakterzeichnung und erzählten Geschichten. Ihr gegenüber stehen experimentellere Varianten, die auch die junge Dramaturgin bevorzugt; dazu gehören verknappte Szenen und ein stilistisch freier Umgang mit Sprache. „Die anderen Teilnehmer arbeiteten viel deskriptiver und stellen ein Thema, wie zum Beispiel Aufklärung, mit vielen biblischen Metaphern ins Zentrum.“ Aber sie traf auf einen Autoren aus Mexiko, der ihr Stück dort herausbringen will. „Ich konnte mich neu positionieren und weiß nun besser, wo ich stehe“, resümiert sie.
Ihr in Townsville präsentiertes Testspiel handelt von einem Mann und einer Frau, denen es nicht gelingt, ihre längst tote Beziehung zu beenden. Sie beginnen ein Spiel, versuchen, das schlimmste voneinander zu denken. Sie begeben sich in ein Vexierspiel von Worten, die Handlung gedanklich simulieren. Am Ende bringen sie sich gegenseitig um. Im Hamburger Kronos Verlag fand Stüting einen Verleger, im Januar wird das Stück beim Forum für junge Dramaturgie in Rostock als szenische Lesung vorgestellt. „Das Stück ist eigentlich witzig. Es ist der absurde Versuch, eine gedankliche Sensation zu erleben“, sagt Stüting.
Zum Schreiben kam sie eher zufällig. Zwei Jahre lang hatte sie die Produktions-, dann die künstlerische Leitung des renommierten Zettel-Theaters inne, eines freien Jugendtheaters in Mainz. Zuerst übernahm sie Textfassung, Regie und Tourneeleitung für die Produktion Romeo und Julia. Als sie dann in die Verlegenheit geriet, ein neues Stück zu inszenieren, fand sie keins. Also schrieb sie selbst: Piratenmolly Ahoy - vom Mädchen, das auszog Seemann zu werden. Ein verlassenes Mädchen will den Männerberuf des Seeräubers ergreifen und schafft das auch. Das Schreiben gefiel Stüting, schnell entstand Cowboys und Pferde, für das sie das Paul-Maar-Stipendium erhielt. In dieser Parabel werden ein böser schwarzer und ein eigenbrötlerischer weißer Cowboy am Ende Freunde.
Theater mit dem Zeigefinger ist nicht ihr Ding, sondern Erzähltheater, das die eigene Vorstellung anregt. „Ich schreibe in Versatzstücken, die ich dann weiterspinne. Gleichzeitig sehe ich immer vor mir, was auf der Bühne passiert“, so Stüting über das Schreiben. Die 26-Jährige hat viel von der Theaterwelt gesehen. Nach dem Abitur war sie einige Zeit als Regieassistentin unter anderem am Chapter Arts Center in Cardiff und am Battersea Arts Center in London. Später studierte sie in Gießen angewandte Theaterwissenschaften – dort, wo auch René Pollesch und Gruppen wie Showcase beat le Mot ihr Handwerk erlernten.
Für Kampnagel hat die junge Dramaturgin viele Pläne, etwa eine neue Art von Clubtheater für die in „Kampnagel Music Hall“ umgetaufte Clubbing-Area. Mariola Brillowska wird mit ihrem „Club Adorator“ einziehen, Slam-Poetin Tracy Splinter eine neuartige Literaturperformance mit klassischen Texten präsentieren. Der Jugendtheaterbereich wird deutlich verstärkt. „Kampnagel soll hier wieder ein Ort zum Dialog werden“, so Stüting. Von ihr wird man sicher noch einiges hören und sehen.
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