: Zum Hörtest ins SM-Studio
■ Elektronische Körperverletzung? DAT Politics und Felix Kubin in der Tanzhalle
Neulich im TV: In einer Phoe-nix-Dokumentation über Pop und Politik in den Sechzigern bezeichnete der Hamburger Fotograf Günter Zint den Soundtrack der heutigen Jugend, gemeinhin Techno genannt, als „Körperverletzung“. Da ist dem guten Mann aber was rausgerutscht. Wenn der wüsste, was sich seit dem weltweiten Durchbruch von Techno vor über zehn Jahren in diesem Bereich getan hat, würde er sich den Begriff der Körperverletzung vielleicht für andere Klänge aufsparen. Zum Beispiel für die von DAT Politics.
Die vier Endzwanziger aus Lille gehören zu jener Gruppe von Computer-Musikern, die man wegen ihres minimalen Instrumentariums (meist nur ein paar Notebooks) und in Ermangelung treffender musikalischer Kategorien seit einiger Zeit unter dem Schlagwort „Laptop-Terrorists“ zusammenzufassen versucht. Politics. Terrorists. Das klingt einigermaßen radikal, und dem entspricht auch die Musik. Die ersten beiden Platten von DAT Politics enthalten durchgeknallte Punk-Elektronik mit stolpernden Grooves, niedlichen Melodien, Störgeräuschen und heftigen Schnitten. Auf dem aktuellen Album schlägt es dem Fass schließlich den Boden aus: Sous Hit beginnt mit einer Hand voll Stückchen, die jeweils bis zu einer Sekunde lang sind und nur aus einem menschlichen Schrei oder dem Blöken einer Kuh bestehen. Was dann folgt, ähnelt dem, wie man sich einen Hörtest im SM-Studio vorstellt: fragmenthafte Tracks, deren Sounds nur selten nicht übersteuert sind und sich mühelos den direkten Weg ins Hirn fräsen. Dazu kommen Beats und Breaks, die nur mit gutem Willen als solche zu erkennen sind und die in ihrer totalen Beklopptheit ebenso amüsant wie verstörend wirken. So spannend und schön kann „Körperverletzung“ sein. Dass dieses bisher beste und anstrengendste Werk des französischen Quartetts von einer japanischen Firma namens Dagital Narcis veröffentlicht wurde, will angesichts der Vorliebe, die man im fernen Osten für extremen Lärm pflegt, nicht weiter verwundern.
Falls jetzt jemand auf den Geschmack gekommen sein sollte: Einen guten Überblick über das Schaffen von vergleichbaren Künstlern bietet die Compilation 1rst Fist & Stroop, die auf dem Skipp-Label von DAT Politics erschienen ist. Neben internationalen Acts wie dem viel gerühmten Kid 606, Blectum From Blechdom aus den USA und dem französischen Gebrüder-Duo Scratch Pet Land ist hier auch der Hamburger Felix Kubin vertreten, der diesen Konzertabend in der Tanzhalle St. Pauli eröffnen wird. Für seinen Auftritt plant Kubin nach eigener Auskunft ein eher melancholisches Set, in dem Stücke zu hören sein werden, die demnächst als Mini-LP auf dem britischen Domino-Label erscheinen. Altes Weichei.
Michele Avantario
Freitag, 22 Uhr, Tanzhalle St. Pauli
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