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Nur zum Angucken

Auf der IFA gepriesen, in Finnland getestet: Dort erleidet die digitale TV-Technik MHP Schiffbruch

aus Helsinki REINHARD WOLFF

Bei der Funkausstellung in Berlin wird sie gerade als Fernsehstandard der Zukunft gefeiert: die digitale TV-Technik mit dem MHP-System (Multimedia Home Platform). Bei den FinnInnen hat diese Zukunft schon Anfang der Woche begonnen. Seit Montag, 15 Uhr, läuft hier der erste offizielle MHP-Sendebetrieb der Welt. Doch der von großem Trara begleitete Start entpuppt sich erst einmal als Flop. Nicht nur, weil statt der versprochenen neun Kanäle bislang nur vier mit regulären Sendungen begonnen haben. Das Problem ist, dass es die passenden Digitalboxen oder Fernsehgeräte der neuen Generation noch gar nicht zu kaufen gibt.

Die meisten Geschäfte haben allenfalls eine Digitalbox im Laden – und die nur zum Angucken. Stattdessen versucht man mit verwirrender Reklame für „Digi“– oder „Breitband“-Fernsehempfänger die KundInnen hereinzulegen. Alle Geräte können nämlich nur mit zusätzlichen Digitalempfangsboxen die neue TV-Generation auf die Mattscheibe bringen. Die gibt es zwar in Berlin zu bestaunen, aber nicht in Finnland zu kaufen.

Was man jetzt als „Digitalboxen“ mieten oder kaufen kann, schafft gerade das nicht, was das ganze System interessant machen würde: interaktive Kommunikation. „Wir haben“, so Jan-Olof Svarvar, Inhaber eines TV-Geschäfts in Vaasa, „nur Boxen, die keine anderen Funktionen als Kabel-TV-Boxen haben. Wem die angedreht werden, kann nur enttäuscht sein. Vor Weihnachten kommen vermutlich auch keine anderen Geräte in den Handel.“

Der Grund für diesen Fehlstart liegt darin, dass keiner der internationalen Konzerne – nicht einmal die heimische Nokia – sich bislang getraut hat, ausgerechnet das kleine Finnland zum Testmarkt für das unsichere Neuprodukt zu machen. Umfragen lassen nämlich eine Bauchlandung befürchten: Das Interesse im Lande ist mehr als zurückhaltend.

Nicht mehr als 17 Prozent der sonst an neuen Kommunikationstechniken immer interessierten FinnInnen können sich vorstellen, eine Box zu kaufen. PolitikerInnen dagegen erklärten das kostspielige Projekt zu einer nationalen Aufgabe, wie es in den USA der Sechzigerjahre die erste Landung eines Menschen auf dem Mond war. Finnland-Nokialand, ganz vorne, was Handy- und Internetanwendung angeht, sollte auch Welterster werden, wenn die digitale Fernsehzukunft anbricht.

Dabei stürzte man sich auf das MHP-System, das vielleicht einmal ähnlich zum Standard des digitalen Fernsehens werden könnte, wie Windows beim PC und VHS beim Video – aber nur vielleicht. Der finnische EU-Kommissar Erkki Liikanen hat eine Unterstützung der MHP-Einführung versprochen, doch gerade die Schlüsselländer USA und Japan haben sich noch nicht auf ein System festgelegt. Doch die Forderung, erst einmal abzuwarten und nicht unnötig Geld für ein unsicheres System hinauszuwerfen, lehnte Finnlands Regierung zuletzt im Februar dieses Jahres in einer Parlamentsdebatte ab.

Kein Wunder, dass bei aller Unsicherheit nur noch das öffentlich-rechtliche Fernsehen voll hinter dem Digital-Experiment steht – und stehen muss –, während sich private Interessenten einer nach dem anderen aus dem unsicheren Geschäft zurückgezogen haben. Der voreilige Ausflug in die Digitalwelt könnte Finnland also teuer zu stehen kommen: Das Land sei einfach zu klein für eine solche Pionierrolle. Geht es nicht freiwillig, wollen die PolitikerInnen ihre Landsleute mit sanftem Druck zur Digitaltechnik zwingen. Bereits im Jahre 2006 soll das gesamte analoge Rundfunkangebot nur noch digital gesendet werden. In Deutschland will man sich das frühestens 2010 trauen.

Das seit Anfang dieser Woche gebotene digitale Angebot – u. a. erstmals ein ganztägiges Sendeangebot für die schwedisch sprechende Minderheit im Lande – besteht im Wesentlichen aus Wiederholungen. Einen journalistischen Neuanfang hatte man erst gar nicht versprochen. Es schaut ja sowieso niemand zu.

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