: Im Osten sprengen sie schon
■ Tenever soll Pilotprojekt für die Modernisierung von Problem-Wohngebieten im Westen werden/Gestern Staatssekretär vor Ort
In Cottbus oder Halle sprengen sie schon: Besonders vom Leerstand betroffenen DDR-Plattenbauten wird der Garaus gemacht, die Häuser drumrum saniert, mehr Parks und Bäume gepflanzt. Der Bund hilft: Acht Jahre lang schießt Berlin 300 Millionen Mark jährlich für „Rückbaumaßnahmen“ im Osten zu, 350.000 Wohnungen sind betroffen. Jetzt geht's nicht nur der Platte zwischen Zwickau und Rostock an den Kragen. Gestern wanderten Bausenatorin Christine Wischer und der parlamentarische Staatssekretär im Berliner Bauministerium, Achim Großmann, auf Einladung des Bremer Bundestagsabgeordneten Volker Kröning (alle SPD) durch Tenever – der Stadtteil im Bremer Osten könnte Pilotprojekt für ein ähnliches Sanierungskonzept des Bundes in Westdeutschland werden. Kröning will Berlin mit dem Tenever-Projekt dazu bewegen, ähnliche Maßnahmen „im Ruhrgebiet und in der Rhein-Main-Gegend“ zu starten.
Es riecht nach Urin, als ein Mann von der Wohnungsbaugesellschaft Gewoba den hohen Herrschaften die Problemlage im sogenannten Keßler-Bau erklärt: „Es ist eher dunkel, eher wenig einladend, die Wohnungsgrößen sind schlecht am Markt zu plazieren.“ Der braun gestrichene Keßler-Komplex ver-slumt langsam: 60 Prozent der Wohnungen stehen leer, der Abriss bevor – ein besonders krasses Beispiel für die Probleme in Tenever, dem „Demonstrativ-Bauvorhaben“ der 70er Jahre. „Tenever könnte ein Modell sein, wie sich Stadtumbau in Westdeutschland vollziehen könnte“, sagt Bausenatorin Wischer. „Das möchten wir dem Staatssekretär ans Herz legen.“
Der Staatssekretär staunte – nicht nur der Keßler-Block ist betroffen. Gut ein Viertel der 2.400 Wohnungen in Tenever stehen leer, 40 Prozent sind es sogar in den sogenannten „Krause“-Bauten: 1.419 Wohnungen, die in Zwangsverwaltung stehen, seit der Hannoveraner Besitzer Lothar Krause pleite gegangen ist. Seitdem verfallen sie zusehends: nur noch das Nötigste wird repariert.
„Die Deutschen sterben hier – und es kommen keine neuen hinzu“, klagt Olga Laser vom Ältestenrat der Arbeiterwohlfahrt (Awo). „Wenn die Awo früher Tanzabende veranstaltet hatten, kamen 120 Leute, jetzt sind es nicht mal 50.“ Die Neu-Teneveraner seien meistens Aussiedler – „sie sind wirklich freundlich und alles“, betont Laser, „nur: sie tanzen nicht.“ Und dann fügt die vielleicht 60-Jährige Awo-Dame leise hinzu: „Es gibt einfach zu viele.“
Tatsächlich sind rund 30 Prozent der Teneveraner Aussiedler, 40 Prozent Ausländer und nur rund 30 Prozent Deutsche. „Diese kulturelle Vielfalt – das find ich wunderbar“, meint Helmut Twietmeyer von der Stadtteilgruppe. Er wohnt seit zehn Jahren in einer 126-Quadratmeter-Wohnung mit Garten. „Ich würde hier nie wegziehen“, betont Twietmeyer. „Aber dieser Keßler-Block da hinten – das ist ein Schandfleck.“ Vielleicht schon im nächsten Jahr, hofft Volker Kröning, könnten die ersten Gelder aus Berlin fließen. Kai Schöneberg
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