: Landliebewelt
Der Papa im Gras, die Mama an der Leiter, die Kinder im Baum: Impressionen eines ehemaligen Kürschengängers
Früher ist man ja noch regelmäßig in die Kürsche gegangen. Wenn Sonntag war und schönes Wetter und alles grünte und blühte und grünte. Papa, Mama und die Kinder haben die Eimer aus dem Keller geholt, die große Leiter, Handschuhe und Verbandszeug. Mama hat die Leiter getragen und Papa die Verantwortung. Wir Kinder dann die Eimer. Manchmal auch umgekehrt: Mama die Eimer und die Kinder die Leiter. Papa dann die Verantwortung – man wusste ja nie! Wenn wir in der Kürsche angekommen waren, alle Kinder rauf auf den Baum – unten Mama an der Leiter. Wir dann immer die Kürschen runter und sie rein in den Eimer. Zuerst, wenn er noch leer war, hat das immer „plöng, plöng“ gemacht. Später „plitsch, plitsch“ und am Ende keine Geräusche mehr. War ein ganz weiches Fallen dann.
Mama stand stundenlang und hielt den Eimer. Wenn einer voll war, hat sie ’nen neuen genommen. Das möchte sie mal mit Papa machen, hat sie öfters gesagt – natürlich leise, damit er das nicht hört. Papa lag im Gras. Manchmal sind von uns welche runtergefallen. Das war erst ein hartes Fallen. Bei den nächsten dann ein weiches Fallen. Also erst „plöng“, später „plitsch“, am Ende keine Geräusche mehr. Wir lagen dann im Gras – wie Papa, aber ohne Bier. Papa war ganz außer sich, und wer konnte, musste wieder aufstehen und rauf auf den Baum. Nur Papa blieb liegen und die, die ganz schwer verletzt waren. Mama hielt den Eimer. Manchmal waren nicht mehr genug von uns übrig, sodass der Eimer nicht voll genug wurde und der nächste erst recht nicht und danach gar keiner mehr. Dann konnte Papa sehr böse werden: „Ihr Scheißkinder“, rief er dann, „ihr verfickten, dreckigen kleinen Scheißkinder.“ In solchen Momenten konnte es sogar passieren, dass er sich vor Empörung mit dem Oberkörper ein ganz klein wenig aus dem Gras erhob.
Ich machte mir aber nichts daraus. Ich wusste, dass er eigentlich ein guter Mensch war. Ein bisschen aufbrausend vielleicht. Und faul. Und rechthaberisch, dumpf, verlogen, gemein, brutal. Ich glaube, er war der Sohn des Teufels. Aber alles in allem war Papa doch der Beste – er liebte halt einfach Kürschen! Inzwischen gab Mama dem Bauern zwei Mark. Tja, so war das früher, als man noch regelmäßig in die Kürsche ging. Heute gibt’s das ja alles fertig aus dem Glas.
ULI HANNEMANN
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