: Sex für alle
Die Sommerposse um Bischof Milingo zeigt: Das Zölibat schadet der katholischen Kirche. Theologisch lässt sich sowieso nicht begründen, dass Priester nicht heiraten dürfen
Ein 71-jähriger katholischer Bischof aus Sambia, der ab und zu bei Exorzismen den Leibhaftigen austreibt, gibt einer fast 30 Jahre jüngeren Südkoreanerin das Jawort. Und dies während der Massenhochzeit einer Sekte und vor den Kameras der Welt. Der Oberhirte bekommt Druck vom Vatikan, erzwingt eine Audienz beim Papst und sagt sich von seiner Frau los. Die aber will das nicht akzeptieren und beginnt einen Hungerstreik am Petersplatz. Er taucht zunächst unter, nach mehr als zwei Wochen wieder auf und übergibt seiner „lieben Schwester Maria“ einen Trennungsbrief, in dem es heißt: „Das Zölibat erlaubt es mir nicht, verheiratet zu sein. Ich verstehe deinen Schmerz und werde immer für dich beten.“ Sie akzeptiert nun endlich die Trennung und erklärt: „Aus großer Liebe zu meinem Mann respektiere ich seinen Wunsch . . . In meinem Herzen hat sich nichts geändert. Ich werde seine Mission unterstützen. Wir werden uns im Jenseits wiedersehen.“
Dies alles hätte als Drehbuch-Skript in Hollywood keine Chance: Wer glaubt denn so was?! Aber wir haben es im vergangenen Vierteljahr erleben dürfen. Eine Sommerposse, wohl wahr, und wahrscheinlich tut man der absurden Geschichte schon zu viel Ehre an, wenn man sie kommentiert, statt nur zu lachen.
Dennoch wird in dieser Affäre ein grundsätzliches Problem der katholischen Kirche deutlich, das sie seit Jahrhunderten (selbst verschuldet) plagt: das Zölibat. Wenn es nicht das irritierende Keuschheitsgebot gäbe, das jeden katholischen Priester bindet, fehlte der Soapopera um den reuigen Sünder und seine hungerstreikende Angetraute im wahrsten Sinne des Wortes der „Sex“, der die Geschichte noch im letzten Winkel der Erde so reizvoll macht. Denn dürfte der Bischof (wie etwa in den protestantischen Kirchen) heiraten, bliebe als Regelverstoß nur, dass der Oberhirte jemanden nach dem Ritus einer anderen Glaubensgemeinschaft oder Sekte geehelicht hat – was nur für Kirchenfreaks von Interesse wäre.
Das Pflichtzölibat ist nicht nur unmenschlich, sondern auch schädlich: für die Männer und Frauen, die es gelobt haben, ebenso wie für die Kirche. Man sollte es so schnell wie möglich abschaffen.
Theologisch lässt sich die Ehelosigkeit der Prieser sowieso nur schwer begründen: Das Alte Testament gebietet die Ehe. Unklar ist, ob Jesus selbst verheiratet war (für Rabbiner wie ihn war das eigentlich üblich); in jedem Fall stieß er sich nicht daran, dass bei seinen Jüngern die Ehelosigkeit die Ausnahme war. Petrus, Vorläufer und Vorbild aller Päpste, war verheiratet (Matthäus, 8,14).
Paulus, der von Zölibat-Verteidigern meist als Kronzeuge angeführt wird, empfahl zwar die Ehelosigkeit als mögliche Lebensweise – aber unter bestimmten Bedingungen. Der Witwer (!) wollte zölibatär leben, bis der Messias wiederkomme: Der Völkerapostel ging von einer raschen Wiederkehr Jesu aus. Ansonsten aber forderte er von den Gemeindepriestern (Titus-Brief 1,6) und den Bischöfen (1. Timotheus-Brief, 3,2), dass sie verheiratet sind – allerdings nicht mehr als einmal.
Auch historisch ist das Pflichtzölibat nicht (mehr) zu begründen: In den ersten zwei Jahrhunderten gab es dieses Gebot nicht, erst Ende des 4. Jahrhunderts findet man in Rom die Anweisung, dass Priester in der Nacht vor einer Eucharistiefeier nicht mit ihren Frauen schlafen sollen, was übrigens alttestamentarische Wurzeln hat. Als sich die tägliche Feier der Eucharistie immer mehr durchsetzte, entwickelte sich folgerichtig auch die sexuelle Enthaltsamkeit zur ständigen Lebensform. Allerdings wurde erst im 11. Jahrhundert das Zölibat allgemein angeordnet. Das Erbe eines Pfarrers sollte nach seinem Tod wieder an die Kirche fallen; auch wollte man verhindern, dass das Priesteramt erblich wurde.
Doch so zweifelhaft das Pflichtzölibat theologisch und historisch ist – die Auswirkungen auf die heutige Kirche sind umso gravierender: Es fehlt der Nachwuchs. Immer mehr katholische Gemeinden sehen ihren überarbeiteten Pfarrer nur noch alle paar Wochen, wenn er zur Eucharistie rast, die er am selben Tag noch in anderen Gemeinden abhalten muss. Angemessene Seelsorge ist kaum mehr möglich, was Gemeinden und Priester frustriert.
Ohne Pflichtzölibat würden wohl auch Sexskandale seltener auftreten – wie etwa die sexuelle Nötigung von Nonnen durch Priester, die vor einigen Monaten aus Afrika gemeldet wurde. Ähnliche Fälle sind aber auch für Indien, Brasilien, Irland oder Italien dokumentiert. In den Kirchen der Reformation und Osteuropas, wo es in der Regel kein Gebot der Ehelosigkeit gibt, sind solche Affären weitgehend unbekannt. Die Pfarrer dieser Kirchen zeigen übrigens deutlich, dass man auch mit Frau und Familie noch ebenso viel Einsatz für seine Gemeinde zeigen kann wie ohne Anhang. Mit dem Zölibat fiele zudem eine Hürde für die Ökumene weg.
Auch für die Autorität der Kirche wirkt sich das Pflichtzölibat negativ aus: Selbst die Mehrheit der Katholiken nehmen in Partnerschaftsfragen ihre Priester und Bischöfe nicht mehr ernst, da die ja schließlich über so gut wie keine persönliche Erfahrung verfügen dürfen. Die Sexualmoral der Kirche erscheint nicht ganz von dieser Welt. Sie aber überschattet samt Pillenverbot und Zölibatsgebot in der Mediengesellschaft für die meisten das, was die Kirche sonst noch zu sagen hätte: etwa zur Entschuldung der Entwicklungsländer, zur Friedenspolitik oder zur Globalisierung – die der Papst übrigens sehr kritisch sieht.
Doch trotz dieser negativen Folgen des Zölibats ist nicht zu erwarten, dass es bald aufgegeben wird – obwohl dies jederzeit möglich wäre, denn die verpflichtende Ehelosigkeit gehört nicht zu den festen Glaubenssätzen. Wahrscheinlich gäbe es sogar Priester, die freiwillig das Zölibat auf sich nehmen würden, selbst wenn sie heiraten dürften. Dann wäre die Ehelosigkeit tatsächlich ein besonderes Zeichen, das auch nicht unbedingt jeder verstehen muss. Aber unter diesem Papst wird das sicherlich nichts mehr – und auf den nächsten zu hoffen, ist nicht sehr vielversprechend: Bei Kirchenreformen muss man generell eher in Jahrhunderten rechnen.
Möglich erscheint lediglich, dass verheiratete Männer, fest verwurzelt im Glauben („viri probati“ genannt), in einiger Zeit doch zum Priesteramt zugelassen werden, wie es bei Diakonen schon möglich ist. Ausreichen aber wird das nicht. Wahrscheinlich müssen der Priestermangel und der Unmut des Kirchenvolks über dieses Desaster noch größer werden, ehe sich der Vatikan einer Reform nicht mehr verschließt.
Das Zölibatselend könnte allerdings auch eine Chance für die einfachen Christen sein, das Gemeindeleben stärker selbst in die Hand zu nehmen: Braucht es wirklich dauernd den Geistlichen, um Freud und Leid zu teilen, den Glauben zu leben? Diese Freiheit der einfachen Christen und Priester gab es schon einmal: in den Gemeinschaften der Urkirche. Hier liegt die Zukunft der Kirche in ihrer Vergangenheit. PHILIPP GESSLER
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