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Containerliebe

Heim und Herd für neue Nomaden, die zwar allem Einrichtungsschnickschnack sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, aber nie zu Hause sind: Das Stilwerk und seine Wanderausstellung „Karawanserei, vom fröhlichen Leben unterwegs

„Alles Eigentum muss sich selbst tragen!“ Alte Nomadenweisheit. Die der neuen Nomaden lautet dagegen: „Alles muss auf ein paar Kreditkarten Platz finden!“ Man trifft diese Spezies heutzutage auf Flughäfen, in Edel-Malls und in Hotels, die ihnen zuliebe denn auch alle gleich aussehen. Es sind Manager, Techniker, Wissenschaftler, Künstler und Controller internationaler Organisationen. Der eine stöhnt, dass er ständig unterwegs ist, die andere freut sich schon, wenn man sie einmal im Jahr um den Globus jagt. Gemeinsam bilden sie die Avantgarde der neuen Nomaden, deren Fußvolk schon seit langem aus Einkäufern, Lkw-Fahrern, UNO-Schutztruppen, Montagearbeitern, Seeleuten, Emigranten und Touristen besteht.

Das Design-Hauptquartier Stilwerk, mit Dependancen in Berlin, Hamburg und Düsseldorf, ist als Immobilie das genaue Gegenteil zum mobilen Lebensstil dieser Globaltrottel. Es fühlt sich jedoch mit seinen internationalen Einrichtungstrends der nomadischen Lebensform einkommensmäßig und ästhetisch durchaus verbunden. Man hat mit diesen Kunden aber die Erfahrung gemacht: Sie sind zwar allen neuen Wohnungsgadgets gegenüber aufgeschlossen, aber sie sind so gut wie nie daheim – zum Geldverdienen müssen sie ständig unterwegs sein.

Nun hat ihnen wenigstens der Ausstellungsmacher Otto Fröhlich im Rahmen einer Drei-Städte-Stilwerk-Show eine mobile Wohn- und Arbeitssituation verpasst: „Wie eine Schnecke nimmt man zukünftig sein Haus (inklusive Einrichtung) mit!“ Gezeigt werden dazu drei avantgardistisch eingerichtete Container – in Berlin auf dem Brachgelände neben dem Tacheles, wo auch schon andere „Mobil Homes“ stehen: ein ausrangierter S-Bahn-Waggon, mehrere Bauwagen, ein Imbisswagen, eine Boitzenburger Neunsegmenthalle, ein Zirkuszelt usw.

Die drei übereinander gestapelten und mit Treppen verbundenen roten Überseecontainer beinhalten ein Wohn-, ein Arbeits- und ein Schlafzimmer. Otto Fröhlich hat sie gemäß seiner eigenen „Wohn- und Arbeitswelt“ eingerichtet – und so fehlt es nicht einmal an Wandnägeln für Projektskizzen und an Lichtrahmen für Kunstdias. Der Künstler hat jedoch die Heizung bzw. die Kühlung für die drei Zimmerbehälter vergessen. Dennoch ist die Idee mit den Containern unter dem Titel „Karawanserei, vom fröhlichen Leben unterwegs“ ganz prima: „Man hat seine gewohnte Lebens- und Arbeitsumgebung immer dabei.“

So einfach ist es aber denn doch noch nicht: Gerd Nowakowski bekam 1996 für einen Kita-Neubau in Gatow ein paar Container von der Deutschen Bank geschenkt. Er musste sie nur mit einem Tieflader aus Fürstenberg abholen: Das allein kostete über 20.000 Mark.

Wer heute in Rom, morgen in Tokio und übermorgen in Tel Aviv kreativ tätig ist, wie es Otto Fröhlich vorschwebt, der zahlt für den Transport seines dreigeschossigen Wohncontainers ein Vermögen, abgesehen davon, dass die Grundstücks- und Sicherheitsfragen sowie die Ver- und Entsorgungsprobleme dabei immer wieder neu und wahrscheinlich mühsam geklärt werden müssten.

Die sehr demokratische Parole „Menschenwürdige Wohncontainer für jeden!“ erweist sich bei ihrer praktischen Umsetzung als sauelitär. Schon um sie an einem Fleck zu realisieren, braucht man Unsummen. Das optimale „Schneckenhaus“ für eine nomadische Lebensweise zu entwerfen kommt der Quadratur des Kreises gleich. Insofern es eher darum geht, sich optimal den neuen Umgebungen immer wieder anzupassen – auf diese Weise kommt man jedes Mal mit Glück zu ganz neuen Wohn- und Arbeitssituationen, u. U. sogar umsonst. In dieser sozialen Perspektive des postmodernen „flexiblen Menschen“ (Richard Senett) wären Otto Fröhlichs Container nur mehr Container für die neuen Monaden. Die angesichts des um sich greifenden Zwangs zur Professionalisierung aber durchaus auf dem Vormarsch zu sein scheinen. Das Containermodell ist damit jedoch noch lange nicht ausgereizt – das beweist Fröhlichs „Karawanserei . . .“ aufs Anschaulichste. HELMUT HÖGE

Noch bis zum 11. 9. im Stilwerk, Kantstraße, Charlottenburg, sowie hinterm Tacheles, Oranienburger Straße, Mitte

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