: Ein Fahrrad machen
■ Unschärfen bei Erkenntnis und Duplikat: Installationen von Björn Dahlem und Simon Starling im Kunstverein
Die Trilogie ist fertig, Björn Dahlem ist angekommen. Auf der „Lichtung der Erkenntnis“, wie er es formuliert. Beendet ist die in Freiburg und St. Gallen begonnene Suche nach Hyperpsyche und der M-Theorie: Neonbestückte Holzgerüste findet vor, wer sich in die aktuelle Doppelausstellung des Kunstvereins begibt. Deuterium Attenzione lautet der Titel des bootähnlichen Konstrukts, in dessen Mitte ein schwarzes Dodekaeder – ein Zwölfflächner – schwebt.
Überhaupt hat Dahlem seine Installation konsequent hinter naturwissenschaftlichen Begriffen verschanzt: Das Dodekaeder habe bei den alten Griechen für das fünfte, irrationale Element gestanden, sagt er. Und Deuterium sei das einzige Atom, dessen Bewegung sich exakt berechnen lasse. Beunruhigend ist hier allerdings eher, dass das Dodekaeder konstant knapp über dem Boden schwebt und dass nicht prognostizierbar ist, wohin es sich bewegen wird. Nur dass es ein Störkörper ist, spürt man deutlich, ein Leck im Erkenntniskonstrukt.
Doch darin erschöpft sich Dahlems Zweifel nicht. Denn er hat sein Modell auch aus Biedermaterialien konstruiert, hat Nachttischlämpchen als Moleküle verwandt. Und diese mutige Semiotik ist es auch, die den Sinn jedes Modells infrage stellt: Denn was bleibt von jeder Ordnungsidee, wenn sie sich auf Neonröhren und Baumstämme reduzieren lässt? Oder spiegelt sich das Komplizierte im Profanen, lässt sich das Schwarze Loch tatsächlich angemessen durch einen Velours-Klumpen darstellen? Und wächst oder schwindet die Unschärfe zwischen Zeichen und Inhalt, wenn man Kom-plexes in schlichte Worte fasst?
Fragen, die Dahlem offen lässt, um sich der Starlingschen Unschärfe zuzuwenden, die sich im Untergeschoss offenbart: Work, Made – Ready – Les Baux de Provence hat der Brite Simon Starling sein Werk genannt und Gedankenkonstrukte in Aktion umgesetzt: Per Alu-Rad ist er in die Provence gefahren und hat Bauxit geholt, mit dem er sein Rad duplizieren will. Ein Teil des Rahmens ist schon geschweißt, die vorangegangenen Stationen sind auf dem Boden aufgebahrt.
Das Verhältnis von Unikat und Massenware beschäftigt den Künstler, der den Blick auf die Werte der Massenproduktionsgesellschaft lenken möchte. Umkehren will er den Duchamp-Gedanken der ready-mades und quantitativ das Gegenteil des Vorgefundenen schaffen: Findet er Unikate, vervielfältigt er sie; sieht er Massenware, stellt er in Handarbeit Unikate her – wie bei seiner Fahrrad-Aktion. Wird seine Replik ein exakter Klon sein? „Ich würde es eher als Transmutation bezeichnen.“ Denn an die exakte Reproduzierbarkeit von Materie oder gar DNA glaubt er sowieso nicht.
Petra Schellen
Kunstverein. Di–So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr; bis 21. Oktober,
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