Zappen durch die Wümmemetropole

■ Das Viertel als begehbarer Fernseher: das „Projekt tv control“ zeigt an möglichen und unmöglichen Stellen der Stadt, wo die sozialen Demarkationslinien verlaufen

Thorsten B. aus Sebaldsbrück bliebe lieber unbehelligt: „Am Eck, ey. Dauernd Perso raus. Und was ich da will und so. Kommen die noch klar?“. Eine erfundene Frage, aber keine unwahrscheinliche. Jedenfalls nicht im Viertel und am Eck, wo mal mehr, mal weniger Polzeipräsenz dafür sorgt, dass – so der gemäßigte Polizeijargon – die Szene „überschaubar“ bleibt. Und da ist er auch schon, der größtmögliche Gegensatz zu den Veranstaltern von „TV Control“, die heute abend für Unüberschaubarkeit im Viertel und sonstwo sorgen werden.

Der fingierten Frage antwortet jedenfalls im fingierten Programmheft von TV Control ein ebenso fingierter Anwalt, Fachgebiet öffentlicher Raum: „Anders als in anderen Bundesländern soll in Bremen die so genannte Schleierfahndung nicht legalisiert werden. Es gibt aber auch hier – so wie vermutlich in Ihrem Fall – verdachtsunabhängige Kontrollen, nämlich solche an „gefährlichen Orten“. Zum Beispiel an der Sielwallkreuzung. Man muss dort bei einer Personenkontrolle seine (richtigen) Personalien angeben. Fragen nach dem Zweck des Aufenthalts brauchen hingegen nicht beantwortet zu werden.“

Überwachung, Personenkontrolle, Privatisierung, Videoaufzeichnungen – Stichworte mit denen die Diskussion um den öffentlichen Raum in den vergangenen Jahren eine Wendung genommen hat, die von vielen Autoren und Bündnissen, und erst recht von den so genannten Betroffenen, als bedrohlich eingestuft wird. Bedrohlich für diejenigen, die das Falsche (Drogen, Alkohol, Gestohlenes) konsumieren, und die angeblich denen das Leben schwer machen, die das Richtige (Klamotten, Schuhe, Gekauftes) konsumieren.

Eine Auseinandersetzung, für die man auch in der „Wümmemetropole“ (Programmheft) viele Orte und Beispiele finden würde, traditionell aber bleiben in Bremen auch die Kritiker im Ostertor/Steintor. Oder wie es die Veranstalter des öffentlichen Video- und Film-Parcours sympathisch-selbstironisch ausdrücken: Schließlich sieht man am liebsten zu Hause fern.

Eines dieser Bündnisse, die sich mit immer neuen und immer unüberschaubaren Programmen an die Öffentlichkeit und was davon übrig ist wenden, ist CityCrimeControl. Gegründet aus dem schon beinah schlichten Grund, dass vor Jahren das freie Plakatieren in „Wildes Plakatieren“ umbenannt und unter Strafe gestellt wurde, stellt die Gruppe mit fluktuierenden Mitgliedern in beweglichen Bündnissen Fragen nach Kontrolle, nach Teilöffentlichkeiten, die den Raum bestimmen oder aus ihm ausgegrenzt werden. Fragen, die in einem Stadtteil, in dem, so will es das Klischee, Alt-68er ihre humanitären Restbestände auf-brauchen und ein neutrales Leben in kreativ-gepflegter Umgebung führen möchten, gut aufgehoben sind.

Von rassistischen Polizeiübergriffen in New York bis zur Video-Überwachung an heimischen Metzgerläden ist so ein weites Feld bestellt. Beziehungsweise ein großer Bildschirm. Heute Abend wird TV Control „die Straße zur Leinwand“ machen und an zig Orten zig Filme, Installationen, Videos zeigen. Von Peter Lustig in seinem Bauwagen über den wunderbaren Waschsalon (der natürlich im Waschsalon im Steintor gezeigt wird) bis zu unzähligen freien Produktionen zu Themen wie Gendateien, web cams, Tuntenhäuser und „falschen Libanesen“. Aufführungsorte sind unter anderem die vielbeklagten Leerstände im Steintor, der Gehsteig vor dem Sielwallhaus, in der Friesenstraße und an vielen anderen öffentlichen Orten.

Bleibt zu wünschen, dass auch Dagmar R.' Frage genauso wahrscheinlich wird wie die eingangs gestellte von Thorsten B.: „Ich wurde im Zuge der Friedensbewegung politisch sozialisiert und bin ein pazifistischer Mensch, der gerne moderierend in Konflikte eingreift. In letzter Zeit platzt mir jedoch immer wieder der Kragen, und ich kann mir auch entschlossenere Widerstandsformen vorstellen. Der Grund meines Ärgers sind die andauernden Kontrollen so genannter Randgruppen am Sielwalleck. Wie weit kann ich gehen, um diesem Treiben ein Ende zu bereiten?“ Die Antwort steht, wie vieles andere, im Programmheft.

Elke Heyduck