: Net neischwätze, bitte!
„Auch die ‚Schwarzwaldklinik‘ ist ein politischer Film“: Hartmut Schoen, Regisseur, Grimme- und Fernsehpreisträger, dreht in Berlin einen Krimi mit geheimdienstlichen Horch-&-Guck-Strategien
von ECKHART LOTTMANN
„Kann der Hans jetzt kommen?“ Der Hans, das ist Hans-Michael Rehberg, ein Schauspieler, der in vielen großen Rollen beeindruckt hat, am Theater und im Film. Ab 12. September gibt er den Papst in Rolf Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ am Berliner Ensemble. Zurzeit aber spielt er die Hauptrolle in Hartmut Schoens Fernseh-Zweiteiler „Hexenherz“ (ZDF).
Schoen selbst trägt heute groß kariertes Holzfällerhemd und ist nach dreißig von sechzig Drehtagen noch so gelassen wie am ersten. „Hen i neigschwätzt?“ fragt er, als die Einstellung abgedreht ist. Es klingt gemütlich. Er hat mit seinen Filmen so viele Preise gewonnen, da wird man souverän.
Schoen fing mit Dokumentarfilmen an. In Berlin drehte er 1986 einen Film über die „Potse“, die Potsdamer Straße, und die Menschen, die dort leben. In Leningrad hat er gedreht, in Vietnam, in Mexiko. Kampfflieger der Bundeswehr hat er gezeigt, aber auch den wunderlichen Alten im Schwarzwald, der fantastische Flugmaschinen konstruiert. Immer ist es ihm, wie er sagt, um „Helden und andere Verlierer“ gegangen. Um Schicksale, Erfahrungen. Dann fing er an, Spielfilme zu machen, fürs Fernsehen. „Ich wollte spannende Situationen nicht mehr abwarten müssen, sondern sie selbst herbeiführen können.“
Jetzt also „Hexenherz“. „Wenn ich die Handlung so lese“, sage ich, „finde ich das nicht besonders aufregend: Wissenschaftler forscht im Auftrag des Militärs, bekommt Skrupel und will nicht mehr, daraufhin überwacht ihn der Geheimdienst und will ihm seine Ergebnisse abjagen. Klingt nach normalem Krimi.“
Schoen kriegt eine Falte auf der Stirn: „Kennst du mich so?“ „Nein“, gebe ich zu. Tatsächlich musste man schon bei seinem letzten Film, „Warten ist der Tod“, dieselben Befürchtungen haben, wenn man nur die knappe Inhaltsangabe las: Drei ehemalige Kampfflieger rauben die Eintrittsgelder eines Flugtages und zerstreiten sich über die Verteilung der Beute (letztes Wochenende noch einmal im ZDF zu sehen). Schoen zeigt die ehemals bewunderten Piloten als Gescheiterte. Nur mühsam schlagen sie sich in „normalen“ Berufen durch, der Überfall ist eine Art Befreiungsschlag. Es geht nicht nur darum, endlich zu Geld zu kommen: Die Expiloten versuchen einen Ausbruch aus mickriger Existenz, aus der schal gewordenen Ehe. Schoen findet intensive Bilder für dieses Psychostück, der Film gewinnt denn auch den renommierten Adolf-Grimme-Preis für bestes Buch, beste Regie, beste Kamera und besten Hauptdarsteller. Neben anderen Auszeichnungen, der Deutsche Fernsehpreis ist auch darunter.
„Was ist denn nun beim neuen Film das Neue? Das für dich Typische?“, frage ich. „Mich interessieren die Prozesse, die die Leute durchlaufen“, sagt Schoen. „Wie der Wissenschaftler vom Täter zum Opfer wird. Die brutale Nähe seiner Überwacher. Seine Isolation.“
Doku-Erfahrung
Schoen knüpft hier wieder an frühere Projekte an. Über einen Wissenschaftler, der wegen ethischer Bedenken aus seiner Arbeit ausstieg und später für seine Arbeit mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hat er einmal einen Dokumentarfilm gemacht. Jetzt konstruiert er in seinem Film einen solchen Wissenschaftler, gibt ihm Hintergrund. Und nicht nur seiner Hauptfigur: „Alle in diesem Film haben eine Biografie, das habe ich gelernt beim Dokumentarfilmemachen.“ Die heute verfügbare Überwachungstechnik hat Schoen umfassend recherchiert: Die streichholzkopfgroßen Überwachungskameras, die Infrarot-Abhöranlagen, die aus den Schwingungen von Fensterglas die dahinter geführten Gespräche verständlich machen.
Ihn hat interessiert, wie umfassend geheimdienstliche Horch-&-Guck-Strategien funktionieren. Bücher von Geheimdienstlern hat er gelesen: „Eitle Agenten, die ihr Lebenswerk präsentieren wollen.“ Aus diesen Büchern, aus Dokumenten und Hintergrundgesprächen hat Schoen den Jargon der Geheimdienstler gefiltert, die Umgangsformen und Rituale im Überwachungsalltag. – Sie sollen schon in sich stimmig sein, die Szenen in der Sonderkommission des Militärischen Abschirmdienstes.
Seinen Hauptdarsteller, Hans-Michael Rehberg, hat Schoen in einem Film mit dem Titel „Der Schandfleck“ gesehen. Rehbergs „Durchlässigkeit“ beeindruckte ihn: „Er spielt auch kleinste Verletzungen perfekt, ist ungeheuer gut vorbereitet.“ Rehbergs Rolle ist mehrdimenional: Da ist der Konflikt um seine Forschungsergebnisse, da ist aber auch die Erkenntnis, isoliert zu sein, ohne Familie und Freunde. Der Professor sucht nach seinem Sohn, den er nach einem Zerwürfnis seit Jahren nicht gesehen hat, und bittet ihn um Hilfe. Gelegenheit, einen der Vater-Sohn-Konflikte zu entfächern, Gefühle, die auch in den Szenen aufkommen werden, in denen der Professor mit einer heimlichen Liebe konfrontiert wird.
Schäbige Gefühle
Ich denke an „Warten ist der Tod“ und erinnere mich an intensive Momente: Gefühle in ihrer Schäbigkeit wie in ihrer Großartigkeit, die Sehnsucht nach Liebe, die alles auf eine Karte setzt. Und trotzdem. „Du weißt, ich schreibe für die taz“, sage ich. „Deshalb muss ich dich fragen: Ist das ein politischer Film?“ „Ja, natürlich“, sagt Schoen. „Auch die ‚Schwarzwaldklinik‘ ist ein politischer Film.“ Er schaut finster. „Du weißt, was ich meine.“ Ich weiß es. „Man hat mir angeboten, einen Film über den 17. Juni zu machen, Buch und Regie“, fährt er fort.
Das Fernsehen schätzt seinen realistischen Blick. Sein Gefühl für Spannung, ohne in billige Dramatik zu verfallen. Ist ein Film über den 17. Juni ein politischerer Film als einer über einen verfolgten Wissenschaftler? Die Frage so zu stellen heißt, ihre Unsinnigkeit klar zu machen. Schoens Blick hellt sich auf. „Aber jetzt lass uns essen gehen. Magst du Sushi?“
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