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Und Julia Hummer singt ein Lied

Der deutsche Film braucht mehr als Marketingstrategien: Heute hat auf dem Filmfest Oldenburg „99 Euro“ Premiere, ein Film aus zwölf Kurzfilmen von zwölf Regisseuren, die fast ohne Geld Selbstausbeutung betrieben, weil sie etwas zu erzählen haben

Der deutsche Film pfeift gerade ganz schön aus dem letzten Loch, keiner, so jammert’s müde vor sich hin, wolle ihn sehen, weder im Kino noch auf den großen Festivals. Viele grämen sich, andere flüchten lieber nach vorn und lassen sich lustige Gegenmaßnahmen einfallen. So auch der Regisseur und Schauspieler Rolf Peter Kahl, der 1999 „Angel Express“ gemacht hat und heute auf dem Filmfest Oldenburg sein neues Projekt präsentiert: „99 Euro“, einen Film, für den ihm innerhalb von zwei Monaten zwölf Regisseure einen fünfminütigen Film mit digitaler Videokamera gemacht haben: für 99 symbolische Euro. Mit Hilfe der Oldenburger Festivalmacher und Cine Plus hat er diese zusammengestrickt und ein Manifest geschrieben, in dem viele vernünftige Dinge stehen. Zum Beispiel, dass es ab sofort weniger um Finanzierungsfragen und Marketingstrategien gehen sollte, sondern um um Begeisterung, Überzeugungskraft, und dass es etwas zu erzählen gibt.

Zwölf Filmchen sind auf diese Weise entstanden, viele davon einfach wunderbar, manche ganz einfach, andere durch Selbstausbeutung ausgefeilter, aber fast alle mit einer prima Idee. Etwa der von Nicolette Krebitz, die man als Schauspielerin bei „Fandango“ und „Bandits“ mögen muss und die gerade bei ihrem ersten Film „Jeans“ Regie geführt hat. Ihr schlagender Kurzfilm „Mon Chérie“ zeigt vier aufregend aufgeregte Mädchen, wie sie mit dem festen Ziel durch die Berliner Nacht gleiten, sich einen Prostituierten zu kaufen. An vielen gehen sie vorbei, auch verständlicherweise an einem, der von Moritz von Uslar gespielt wird. Einen nehmen sie mit. Vier glänzende Laiendarstellerinnen spielen hysterisch kichernde und sich beratende Freundinnen, und man denkt sich so: „Freundinnen müsste man sein. Dann könnte man über alles reden, über jeden geheimen Traum.“ Oder, wie es ganz richtig im Programmheft steht: „Außer Freundinnen gibt es nichts zu verlieren.“

Esther Gronenborn, die einen der schönsten deutschen Filme im letzten Jahr gemacht hat, nämlich „alaska.de“, ging es in „Balkan Rhapsody“ auch um Freundinnen, aber ganz anders. Vielleicht ist dabei der aufwendigste, auch kameratechnisch ambitionierteste Film herausgekommen, der, der die meisten Helfer brauchte bei „99 Euro“. Zwei ältere deutsche Damen, Dorith (Eva Bodnar) und Hildegard (Evelyn Meyka, bekannt aus diversen TV-Serien), wollen gerade einträchtig von ihrer osteuropäischen Bildungsreise in ihrem Hotelbett ausruhen, Reiseführer lesen und schlafen, als sie auf dem Flur komische Geräusche hören. Ein Freier hat eine Prostituierte aus dem Zimmer geprügelt. Während die beiden die Situation nicht durchschauen, dem „armen Täubchen“ helfen, ihre Prellungen mit kalten Coladosen behandeln und empört nach dem Hotelchef rufen, erzählt der Freier dem Zuhälter auf Russisch, dass ihm „diese Schlampe fast den Schwanz abgebissen hat“.

Auch Mark Schlicher („Ex“, „Der Elefant in meinem Bett“, „Der Ausbruch“) hat für seinen rasanten und überaus kompliziert komponierten Film „Privat“ lauter Promis gewonnen: Alexandra Maria Lara spielt Nina, die von ihrem Anzugträger (Oliver Korittke) verlassen wurde, und zwar für ihre Zwillingsschwester Sandra. Wie traurig alle Beteiligten darüber sind, erzählt jeder für sich in eine wacklige Kamera hinein: für ein Filmprojekt im Filmprojekt. So auch Richy Müller, der den von Sandra verlassenen Olaf spielt und sich wild entschlossen eine Bombe an die nackte Brust klebt.

Bei dem Film von Michael Klier, der so schöne Filme wie „Ostkreuz“ (1991) oder jetzt „Heidi M.“ gedreht hat, geht es um Straßenkünstler. Axel Prahl spielt in „Ein Mann boxt sich durch“ einen Berliner Chef eines bankrotten Handwerksbetriebs. Gegen Geld, das er braucht, um seine Angestellten zu bezahlen, lässt er sich auf dem Alexanderplatz verprügeln. Nach und nach freundet er sich mit einer sanften Straßengitarristin an (Julia Hummer aus „Die innere Sicherheit“), die es gar nicht gut findet, was er so macht, und lieber abends im Kirchenchor singt. Am Schluss sitzen beide einträchtig zusammen und Julia Hummer singt ein langes Lied.

Rolf Peter Kahl selbst hat mit Minh-Khai Phan-Thi den Albtraum einer Viva-Moderatorin verfilmt und Peter Lohmeyers Film mit seiner kleinen Tochter heißt „Leila läuft“. Möglich, dass sich die zwölf Regisseure von „99 Euro“ heute in Oldenburg, wenn sie zum ersten Mal vollständig zusammentreffen, eine etwas kleinere Lola rennen lassen und etwas Neues entsteht. X-Filme sei eigentlich „der einzige kreative Zusammenschluss“, den er kenne, meint Kahl: „Eine Gruppe mit Haltung, das fehlt aber bis jetzt noch ganz.“ Er hofft, dass es mit „99 Euro“ irgendwie weitergehen wird. SUSANNE MESSMER

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