: Die Verlierer der Kita-Card
Träger-Verbände schlagen Hierarchie für die Platzvergabe vor: Arbeitslose sollen keine Ganztagsplätze mehr belegen ■ Von Kaija Kutter
Eigentlich wollten Trägerverbände und Amt für Jugend beim Treffen ihrer „AG Kita 2000“ über das heikle Thema „Bewilligungskriterien“ reden. Eine Einigung schien greifbar, hatten doch die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW) und die Vereinigung der Hamburger Kindertagesstätten ein Papier vorgelegt, das im Wesentlichen die Vorgaben der im April vorgelegten Senatsdrucksache übernimmt.
Doch dann flog das Thema doch von der Tagesordnung. „Das Papier macht deutlich, wer die Verlierer der Kita-Card sein werden“, vermutet ein Kritiker. Und das könnte den Wahlkampf stören. Beispielsweise sollen Kinder von Arbeitssuchenden - sofern diese keine Weiterbildung machen - nur noch 4-Stunden-Plätze bekommen und diese auch nur für ein Jahr. Drei- bis Sechs-Jährige haben zwar unabhängig vom Status ihrer Eltern Anspruch auf diesen Halbtagsplatz, könnten also bleiben. Krippen- und Hortkinder hingegen müssten bei erfolgloser Jobsuche der Eltern um ihren Platz bangen.
Interessant: Bereits im April hatte die GAL-Familienpolitikerin Sonja Deuter bei ihrem Abtritt von der politischen Bühne gewarnt, Langzeitarbeitlose oder Mütter, die wieder in den Beruf wollen, könnten bei der Kita-Card leer ausgehen.
Auch beim „Sozialen und pädagogischen Bedarf“ folgen die Verbände dem Senat und akzeptieren, dass es in diesen Fällen keinen „Rechtsanspruch“ mehr geben soll, obwohl die AGFW das im Oktober 1999 noch gemeinsam mit dem alternativen Wohlfahrtsverband Soal gefordert hatte. Sozialhilfeempfänger sollen „kurzfristig“ einen Platz bekommen, wenn sie innerhalb der nächsten drei Monate einen Job in Aussicht haben. Gleiches gilt für Berufstätige, Schüler, Studenten, Teilnehmer an Sprachkursen und Arbeitlosen, die sich weiterqualifizieren. Generell sollen Eltern Kita-Plätze nur noch für die Dauer der Arbeitszeit bekommen, zuzüglich der Fahrzeiten und - das ist neu - eines noch nicht näher definierten „Puffers“. Wer bekommt wann eine Kita-Card und in welchem Umfang? Das entscheidet die Bürgerschaft, doch Grundlage soll die Vereinbarung zwischen Amt für Jugend und Trägern sein. Da weder CDU noch FDP fundamentale Kita-Card-Gegner sind, scheint das Papier auch unabhängig vom Wahlausgang relevant.
Die SPD-dominierten Träger vertrauen dem Wahlversprechen der SPD, schrittweise 150 Millionen Mark zusätzlich in den Platzausbau zu investieren, um bis 2005 einen Rechtsanspruch für Berufstätige zu erfüllen. Die Autoren des Papiers machen das sogar zur Vo-raussetzung für ihr Einlenken. Sie befürchten dennoch „Verdrängungseffekte“ und fordern deshalb eine „jährliche Berichterstattung“, die offenlegt, welche Kinder nicht zum Zuge kamen und Anlass für ein eventuelles „Nachsteuern“ bei Geld oder Bewilligungskriterien sein soll.
„Solange es nicht genug Plätze gibt, muss eine Rangfolge ausgehandelt werden“, sagt die Vereinigungs-Vorsitzende Hedi Colberg-Schrader. Und solange es zu wenig Ganztagsplätze gebe, „sollten Arbeitssuchende diese nicht belegen“. Unter der Voraussetzung, dass sie einen Ganztagsplatz bekommen, sobald sie Arbeit haben.
Eine Lösung, die Folgen für Pädagogik und Kinder hat. Entweder muss ein Kind Gruppe und Freunde wechseln oder aber es müsste Kita-Gruppen geben, in denen die Betreuungszeiten so stark zwischen vier, sechs, und acht Stunden gemischt werden, dass es Unruhe gibt.
„Diese Vollflexibilisierung ist nur für große Träger wie die Vereinigung umsetzbar“, kritisiert Elimar Sturmheobel von Soal. Zudem würden „Kinder zum Spielball der Bewilligungskriterien“, die sich an den Erwachsenen orientieren.
Regenbogen-Politikerin Heike Sudmann kritisiert, dass sich die Verbände überhaupt „ohne Not“ an der Verteilung zu knapper Mittel beteiligen: „Das sollte man den dafür verantwortlichen Politikern alleine überlassen.“ Auch Matthias Taube von der Partei „Familien Power“ kritisiert: „Es kann nicht sein, dass hier Spitzenverbände und Verwaltung über Familienpolitik entscheiden.
Das Papier, so Colberg-Schrader, sei ein „Korsett“, dem nun ein Papier des Amtes für Jugend folgen sollte. In einigen Punkten gibt es trotz des Einlenkens noch Dissenz. So sollen Kinder, in deren Familien eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird, zur „Förderung der Zweisprachigkeit“ Anspruch auf Krippen- und Ganztagsplatz haben. Und Kinder, deren Mütter ein Baby bekommen oder den Job verlieren, sollen per „Anschlussbewilligung“ noch zwölf Monate ihren alten Kita-Platz behalten. Beides lehnen die Behördenvertreter ab und schlugen nach taz-Informationen bei der ersten Erörtung des Verbands-Papiers vor, die Anschlussbewilligung auf vier Stunden täglich zu begrenzen.
Doch über eigene Positionen zum Thema Bewilligungskriterien gibt das Amt für Jugend derzeit keine Auskunft: „Das Papier der Verbände liegt vor, wir sind im Gespräch, alles ist im Fluss“, sagt Sprecherin Frauke Scheunemann. Man wolle dem komplexen Thema eine „bewusst offene Diskussionsphase gönnen“. Mindestens wohl noch bis zum 23. September.
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