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In Pics Seifenblasen verzaubert

■ Der Circus Roncalli gastiert seit Samstagin Bremen. Mit einem Jubiläums-Programm der leisen Art darf das Publikum das 25-jährige Jubiläum mitfeiern

Circus Roncalli, Premiere zum Jubiläums-Programm 2001. In der Manege sitzt Manfred Müller, Vorstand von Werder Bremen. Vor ihm eine Blumenvase, die gut fünf Liter fassen dürfte. Sergej Maslennikov, der zum Kellnern nicht geborene Clown, hat ihm einen Liter eingeschenkt, roten „Chateau Aldi 2002“. Nach einigen Minuten kann der Werder-Vorstand nicht mehr an sich halten, er beugt sich vor uns riecht an dem guten Tropfen. Und nimmt wieder Haltung an. Wieder vergehen Minuten, der Manager auf der Bühne ist eigentlich Zuschauer der Restaurant-Szene wie alle anderen. Nur den Wein-Geruch vor der Nase. Dann plötzlich greift er den Kelch, mit zwei Händen, nimmt einen kräftigen Schluck. Stellt ihn ab.

Das ist die große Kunst von Roncalli. Aus einem banalen Moment was Urkomisches machen. Der Fußball-Manager war aus dem Publikum herausgeholte Staffage, die nur so herumsitzen sollte auf der Bühne und plötzlich urkomisch wird. „Früher gab es Quacksalber und Schauspieler auf den Marktplätzen“, hat Bernhard Paul, der Elektrikersohn aus dem niederösterreichischen Wilhelmsburg, der seit 25 Jahren Circus-Chef ist, einmal philosophiert: „Die Quacksalber sind Ärzte geworden, und die Schauspieler können den Hamlet nicht spielen, weil sie die Lindenstraße synchronisieren müssen“ Das Fazit: „Nur noch der Circus ist vogelfrei.“

Roncalli kann entführen ins Land der Träume. Wenn der sternfunkelnde Globus in die Manege rollt, anhält und aufklappt, dann ist es mucksmäuschenstill im Auditorium. Aus den beiden Halbkugeln klettert Pic, ein Pierrot, macht Seifenblasen, nichts als Seifenblasen, schaut beglückt, wenn sie durchs Zelt schweben, und blickt enttäuscht, wenn sie zerplatzen. Die Augen sind die Seele für den Clown, mindestens so faszinierend wie die Seifenblasen. In einer Zeit, wo in der Glotze die ganze Welt als Zirkus dargeboten wurde, verzaubert Pic (Richard Hirzel) mit einem uralten Kinderspiel. „Mir san koa Circus“, stellte Paul dann regelmäßig klar, „mir san a Theater.“

Immerhin hat Pic den Kindern auch was zu zeigen: Er zaubert eine kleine Seifenblase in eine große hinein und er kann eine kleine Seifenblase um den großen Seifenblasenring herumturnen lassen wie um eine Reckstange.

Roncalli, der nach dem zirkus- und auch sonst reformfreudigen Papst Johannes XIII. (Angelo Giuseppe Roncalli ) benannte Circus, liebt die kleinen Geschichten, die nahe am Alltag des Publikums sind. Wenn Andrej Jigalov sein fieses Gesicht zieht und mit stark heruntergezogener Schulter zwei Finger zum Peace-Zeichen reckt, dann sind wir mitten in der Vorstadt mit ihren supercoolen Kids. Aber so penetrant kann das keiner der coolen Kids, und keiner kann so perfekt dumm gucken und ungelenk breakdancen wie Konstantin Wübbe. Das russische Clown-Pärchen erzielt seine Effekte mit banalsten Mitteln, das ist das Geniale daran.

Roncalli kann auch anders, das zeigt die „Equilibristin“ Jacqueline Alvarez. In ihrer Artistenfamilie scheint sie auf den Händen zu laufen gelernt zu haben, so selbstverständlich bewegt sie sich kopfüber. Wenn sie auf einer Hand steht und sich zur Seite herunterbiegt, dann beleidigt sie Physik: Einen Schwerpunkt scheint der zierliche Körper der 23-Jährigen nicht zu haben, sonst müsste sie kippen. Aber sie kippt nicht, sie biegt sich im Zeitlupentempo hinunter. Sie wackelt auch nicht, wenn sie – auf einer Hand stehend – weiße Klötze mit der anderen freien Hand auffängt und unter sich aufschichtet. Am Ende stößt sie die jeweils fünf brikettartige Blöcke unter ihren beiden Händen ruckartig weg – und kommt auf den Tellern darunter zur Handstand-Landung. „Abfaller“ heißt das Kunststück im schlichten Circus-Jargon.

Circus ist ihr Familien-Schicksal. Genauso atemberaubend wie die Gleichgewichts-Kunst von Jacqueline ist die Jonglier-Kunst von Manuel Alvarez. Er schleudert die Keulen mit den Füßen und wirft drei Bumerange in einem so großen Bogen durch das Circus-Zelt, dass mancher der Zuschauer den Kopf einzieht.

Dieser Circus geht sparsam mit den artistischen Superlativen um, das Publikum darf sich immer wieder bei schlichten Clownerien erholen und auf normale Puls-Frequenz herunterkommen. Sparsam geht der Circus auch mit dem Einsatz von Tieren um. Im Jubiläums-Programm treten nur die Pferde von Eliana Paul, der Frau des Circus-Direktors, auf: Mal tanzend im „Pas-de-trois“, mal im Kniefall, mal auf den Hinterbeinen sich über die Menschengröße erhebend.

Der Höhepunkt des Pferde-Theaters ist aber die Ouvertüre: Ganz allein kommen drei weiße Pferde in die Manege, Nebel bläst aus der Kuppel herab und verklärt die Szene, geradezu pantomimisch bewegen sich drei hinter dem Schleier, liebkosen sich, tänzeln, räkeln sich wohlig auf dem weichen Boden. Unbeschreiblich.

Klaus Wolschner

Der Zirkus Roncalli gastiert bis zum 7. Oktober auf der Bürgerweide. Karten gibt es bei Karstadt-Bremen sowie im Umland bei den Qivive-Vorverkaufsstellen, telefonisch unter Tel.: 0180/522 45 22 oder online unter www.roncalli.de .

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